Dienstag, 1. Dezember 2020

Erste Hilfe für das Eisenzeithaus oder: Rocking The Iron Age House. Erster Teil: Das Problem.

Erster Teil: Das Problem.

Wir waren mal wieder im Einsatz auf dem Eisenzeitgelände. Diesmal ging es um eine Not-OP. Der Patient: Das Wohnstallhaus auf dem Eisenzeitgelände.

Es ist Adventszeit, da haben viele von euch sicher Lust auf etwas Lesestoff. Klar, sollt ihr bekommen. 

Für alle, die keine Zeit haben, sich zu vertiefen: scrollt bis zur gestrichelten Linie herunter, da beginnt die Untersuchung des Patienten.

Für alle anderen: Lesestoff.

Es gibt vielerlei Theorien dafür, warum Menschen im Nordwesten Europas so lange Zeit Häuser gebaut haben, deren Stützpfosten tief in die Erde eingelassen waren, obwohl sie damit unweigerlich der Verrottung preisgegeben waren. Ein Haus zu bauen, von dem man von Anfang an wusste, dass es nur so lange stehen würde, bis die Pfosten, die es tragen, verfault sein würden, entspricht so gar nicht dem modernen Gedanken der Nachhaltigkeit. Natürlich hat auch die Archäologie lange über die Gründe dafür philosophiert. Werfen wir mal alle möglichen Überlegungen hier auf.

  • Keine Ahnung: Die Leute haben es einfach nicht besser gewußt. Kannten nix anderes. Gegen diese Ansicht spricht, dass zum Teil mehrere Jahrhunderte lang bis noch weit in die historische Neuzeit hinein immer noch Pfostenbauten errichtet wurden, obwohl im gleichen Zeitraum und in der gleichen Gegend bereits aller Orten Ständerbauten gebaut wurden, zum Teil von denselben Leuten. 
  • Bei einem Pfostenbau wird das Haus bereits durch die Erde festgehalten und somit versteift, so dass es nicht umfallen kann. Man spart sich damit aufwändige und mit einfachen Werkzeugen kaum machbare Querverbindungen. Dagegen spricht, dass Querverbindungen so aufwändig gar nicht sind und mit einfachsten Werkzeugen zu machen sind. Löcher zu graben macht auch Arbeit. 
  • Was einmal Tradition geworden ist, wird nicht so schnell aufgegeben, auch wenn Neuerungen schon lange Einzug gehalten haben. Ja, viel ist gesagt und geschrieben worden über mögliche symbolische Bedeutungen des "erdfesten Bauens". Schließlich ist man im Nordwesten gerne "erdverwachsen". Waren die Pfosten-Fans also altmodisch oder gar "abergläubig", während die Ständer-Fans die progressive Avantgarde ihrer Zeit waren?
  • Die Erbfolgetradition ist schuld! Die nächste Generation sollte bewusst bei null anfangen. Somit brauchte ein Haus auch nur eine Generation zu überleben. Eine verlockende Theorie. Man hört und liest, das Felder in Gegenden mit schwierigen Böden mitunter gut und gerne nach ein paar Fruchtfolgen fix und fertig waren und danach langer Erholung bedurften, um wieder genügend Ertrag zu erbringen. Der Hof und sein unmittelbares Umfeld waren nach der Ansicht einiger nach einer Generation schlicht abgewirtschaftet. Die nachfolgende Generation wechselte den Siedlungsplatz, nahm vielleicht alle brauchbaren Teile der alten Gebäude mit und baute neu. Damit musste man auch nicht so lange warten, denn die alte Generation machte es ja gar nicht so lange damals. Nach fünfzig Lebensjahren war ohnehin Game Over. Klingt gut. Was aber, wenn die Pfosten eines Wohnstallhauses schon viel eher in die Dutten gingen (norddeutsch für "kaputt gehen")? So nach 10 oder 12 Jahren zum Beispiel. Ach, 12 ist alt genug, um den eigenen Hof zu gründen, oder? Was aber machten die zwölfjährigen Neubauern dann mit den Eltern, die womöglich erst mitten in ihren Dreißigern waren? Dazu kommt, dass, wenn alles gut lief, im Schnitt alle anderthalb Jahre eine neue Generation das Licht der Welt erblickte. Klar, nach gängiger Meinung überlebte ein guter Teil seinen fünften Geburtstag nicht. Aber dennoch. Niemand hinterließ nur einmal Nachkommen und brachte diese dann durch bis ins Erwachsenenalter, wann immer man das ansetzen will. Antike Quellen geben Hinweise, nach denen der Erwachsenenstand nicht vor dem Einsetzen der modernen Volljährigkeit erreicht war. Also haben wir ein Problem mit dieser Theorie. 

Machen wir uns nichts vor. Wir wissen einfach nicht, warum man so baute und nicht anders.

---------------------------  So, genug gestrichelte Linie. 

Vor etwas mehr als zwölf Jahren haben wir das große Wohnstallhaus auf dem Eisenzeitgelände gebaut. 

Und nun haben wir ein ziemliches Malheur. Die Pfosten sind am Übergang zum Erdreich verrottet*! Auch die Dachreiter auf dem Dachfirst sind verrottet. Aber ist das nicht ein bisschen früh? Sollten solche Eichenpfosten nicht doch etwas länger halten? Müssen wir jetzt damit rechen, alle 12 Jahre alles einzureissen und neu zu bauen? Ruhig Blut! Wir gehen der Sache zunächst auf den Grund. Keine OP ohne sorgfältige Anamnese.

Zunächst ein bisschen Bautheorie für alle, die den blog nicht von Anfang an verfolgt haben. 

Das Eisenzeithaus ist ein Pfostenbau. Bei einem Pfostenbau sind alle stützenden und tragenden Pfosten tief ins Erdreich eingetieft. Im Gegensatz dazu stehen bei einem Ständerbau diese Stützen auf Sockeln, Mäuerchen oder Holzschwellen. Die bekannten historischen Fachwerkhäuser zum Beispiel. Während ein Pfostenbau nur so lange sicher steht, bis die Pfosten am oder im Erdreich verrottet sind, können Ständerbauten - ganz so wie die noch heute zu bestaunenden Fachwerkhäuser - Jahrhunderte überdauern. Damit die Stützen, die lose auf den Sockeln stehen, gut in Position bleiben, wurden sie horizontal miteinander verbunden. So steht ein solcher Fachwerk-Ständerbau wie ein Kasten auf seinen Sockeln. Man könnte ihn anheben und wegtragen, ohne dass er auseinanderfällt (bisschen Vorsicht dabei, klar).

Die Frage, wie man auf die Idee des Ständerbaus statt des Pfostenbaus gekommen ist, können wir vielleicht durch unser aktuelles Abenteuer für uns beantworten. Gleichzeitig kommt es uns aber gerade dadurch immer merkwürdiger vor, warum man das nicht viel früher schon so gemacht hat, und warum sich diese "Neuerung", nachdem man erstmals damit zu experimentieren begonnen hatte, noch Jahrhunderte lang gar nicht so recht durchsetzen konnte. 

Zunächst fielen uns bereits vor ein, zwei Jahren morsche Bereiche an einigen Aussenpfosten des Eisenzeithauses auf. Wie sehr das Kernholz betroffen war, brachten im vergangenen Jahr einige mutige Prokeleien ans Tageslicht. Au weia! Bei einigen Pfosten fanden wir beim Prokeln bereits gar kein Kernholz mehr. 

Hier die Bilder der Bestandsaufnahme: Erst mal die Dachreiter. (Man kann übrigens jedes Bild auch anklicken, dann vergrößert es sich!)

*bei der Sanierung fanden wir heraus, dass sie bis zum Grubenboden verrottet waren.





Einige Teile dieser Eichenholz-Trumme sind schon abgebrochen und heruntergefallen! Zum Glück ist niemandem dabei etwas passiert.




Diese Dinger müssen auf jeden Fall erneuert werden. Bevor es so weit ist, müssen sie entfernt werden, bevor sie noch jemandem auf den Kopf fallen. Aber das muß vorsichtig geschehen, denn die Dachhaut aus Ried und die Firsthaube aus Heidekraut dürfen auf keinen Fall dabei beschädigt werden, denn sonst regnet es womöglich so lange dort hinein, bis endlich die Neueindeckung mit frischem Heidekraut erfolgt.


Weiter geht es bei der Inspektion. Nun geht es an die Pfosten:


 

Tja. Wie weit geht der Zerfall im Inneren des Holzes weiter?





Dieser hier sieht gar nicht so übel aus...

Mal ranzoomen. Ohje! Ist das ein Loch?

 

Es war und ist ein Loch. 

Hier haben wir so ein Loch mal etwas erweitert, um zu sehen, wie tief so etwas geht. Dieser Pfosten steht in der Mitte des Einganges. Ja, so ein Loch geht tief. Ist das, was da in die Tiefe geht, wenigstens noch ein klitzekleines bisschen Kernholz?



Nö. Nope.



Da ist gar nichts mehr! Nachdem das, was da unten noch dran war, herausgeprokelt ist, kann man die Hand hindurch stecken.



Die übrigen Pfosten machen auf den ersten Blick zwar einen guten Eindruck, aber kaum ein bisschen gescharrt, zeigt sich auch an ihnen ein ähnliches, wenn auch nicht ganz so fatales Bild. 

Das Wasser tropft bei Regen vom Dachschilf direkt auf den Boden ab und bildet dabei einen Graben. Spritzwasser gelangt dabei auch an den Bereich der Pfosten. Feuchtigkeit, Sauerstoff und nährstoffreiches Holz - Holzzersetzer-Herz, was willst du mehr? Doch dazu später etwas ausführlicher.




Im Innenraum sehen die Pfosten vollkommen unauffällig aus. Sie tragen die Firstpfette. Sie stehen ja aber auch wettergeschützt. Da sollte eigentlich nichts verrottet sein. Oder doch? Lasst euch überraschen!


 

Der Lehmboden im Stall ist beim Trocknen schon kurz nach dem Einbau so gerissen. Er ist aber noch nicht stark zertreten. Im Stall wird auch weniger gelaufen. Was wohl echte Kühe diesem Boden angetan hätten. Wir glauben, dass sie ihn schon nach wenigen Wochen zu Brei getrampelt hätten.

 


Im Wohnteil hat es der Boden nach zwölf Jahren und tausenden von Besucher*innenfüßen inzwischen hinter sich. Brocken, die sich aus den Kanten der Schollen lösen, werden zu Staub zerrieben...



..der sich überall absetzt. Die Leute in der Eisenzeit müssen entweder den ganzen Tag mit Putzen und Staubwischen beschäftigt gewesen sein, oder an all das Ungemach gewöhnt, total verdreckt die staubtrockene Suppe geschlürft haben. Oder sie waren wesentlich smarter als wir. Wenn wir sie doch fragen könnten. Auch da müssen wir ran. Eine staubfreie, besser haltbare Bodenfläche muss geschaffen werden.


 

Aber das hat etwas mehr Zeit, denn der Boden kann einem erstmal nicht auf den Kopf fallen, es sein denn, man ist wirklich arg betrunken. (Der Entertainer Dean Martin erzählte einmal, dass er sich mit Frank Sinatra die Kante gegeben hat. Irgendwann lag Frankie dann am Boden, schaffte es aber noch, sich ein Glas einzuschenken (beide soffen mehr als nur gelegentlich). Dean sah zu ihm hinab und fragte ihn, was er da unten mache. Darauf sah Frankie auf Dean herab und antwortete: "Komm hoch, Junge! Wie kann man so besoffen sein?!" Es geht also.


Fest steht nach dieser Inspektion, die wir zusammen mit dem Bauamt durchgeführt haben, hier muss sehr zeitnah etwas geschehen. Bis es so weit ist, können wir aber schon wenigstens sichern, was zu sichern ist. Eine Not-OP erstmal.

Aber ist das eigentlich alles normal? Und wie kann man die Haltbarkeit eines solchen Pfostenbaus steigern? Es gibt doch schon so lange Freilichtmuseen, in denen ebenfalls Nachbauten und Rekonstruktionen solcher Häuser stehen. Welche Erfahrungen hat man dort gemacht?

Hierzu hat Hajo Zimmermann zum Glück sehr ausführlich recherchiert. Aus seinem Werk stammen demnach auch die folgenden Abbildungen**.

Spannend ist die dort enthaltene Tabelle zur Haltbarkeit unterschiedlicher Holzarten unter verschiedenen Einbaubedingungen. Hiernach befindet sich unsere Eiche nach 10 Jahren mit Bodenberührung bereits am Ende ihrer Tage. Da sind unsere zwölf Jahre ja sogar noch sportlich.

Hier sieht man aber auch gut den Unterschied zu den Eichenpfosten, die ohne Bodenberührung verbaut sind. Die halten dann sogar bis zu 120 Jahre, alle im Bauwerk weiter oben verbauten und besser geschützten Eichenteile sind sogar fast unbegrenzt haltbar. Da wird einem klar, warum viele sehr alte Fachwerk-Ständerbauten immer noch stehen und - wie vom Autor dieses blogs - sogar noch bewohnt werden.





Die nächste Grafik zeigt das typische Verrottungsbild an Holzpfosten. Der Pfosten verrottet zumeist am Übergang von Boden zu Luft. Mit einem Mantel aus Lehm oder Ton hat man in Japan traditionell versucht, vor allem Luftsauerstoff vom Pfosten genau in diesem Bereich oder sogar noch bis tief hinunter in die Grube fernzuhalten. Mit einigem Erfolg offenbar, wenn man die dortigen Untersuchungen an Altbauten betrachtet. 


Versuche im Archäologischen Freilichtmuseum Oerlinghausen haben ebenfalls ergeben, dass Pfosten besonders am Übergang von Boden zu Luft verrotteten. Es gab aber auch Pfosten, die von unten verfault sind. Dort zersetzte sich das Holz von seiner Stirnfläche besonders bei glatt abgesägten Pfosten. Bei sauber spitz zu gebeilten Pfosten scheint das deshalb nicht so stark geschehen zu sein, weil die Holzzellen durch die Fläche der Axt zusammengepresst und verdichtet worden sind. Dort hatten es Mikroorganismen offenbar schwerer, in die Substanz einzudringen. Nach dem der Pfosten länger in der Erde war und das Erdreich sich "gesetzt" und verdichtet hatte, scheint dort ein Milieu entstanden zu sein, das aeroben Bakterien und Pilzen weniger Lebensmöglichkeiten gab. Soweit die Theorie.

Hier ein Pfosten vom Rössener Haus im Freilichtmuseum Oerlinghausen. Sieht fast genauso aus wie die an unserem Eisenzeithaus.

Es betrifft offenbar regelmässig zunächst die Aussenpfosten.

Um so überaschender ist es, dass sich in einem Freilichtmuseum in Dänemark bei der Untersuchung eines Innenpfostens im Stallbereich dieses Bild bot: Hier war von Verrottung zunächst nichts zu sehen, bis man den Bereich unter dem Pfosten einmal angegraben hatte. Schockierender Weise war dieser Pfosten bereits vollständig in der Erde aufgelöst. Weg. Nicht mehr vorhanden. Ein Ex-Pfosten. Nur noch braune Humuserde war von ihm übrig. Wenn wir das sehen, dann kommt uns eine bange Ahnung.... Kann ein Pfosten, der im Inneren steht, und der eigentlich vor der Witterung gut geschützt ist, so verrotten, dass man es zunächst nicht einmal bemerkt?



Hier noch ein paar hübsche Illustrationen von verschiedenen archäologisch oder bauhistorisch ermittelten Pfostengründungen, die das Einsinken der Pfosten unter Last verhindern sollten.

Da ist der Weg zum Ständerbau nicht mehr so weit, oder? Besonders das Bild mit dem kleinen Geschiebe hat es uns angetan (der Stein unter dem Pfosten. Man will ihn kleinen Findling nennen, aber die sind riesengroß und gelegentlich tonnenschwer). Wenn man diesen Stein nun genau am Übergang von Boden zu Luft platziert und darauf den Pfosten stellt, dann wäre man beim Ständerbau und der Pfosten könnte laut Tabelle weiter oben durchaus viele Jahrzehnte halten. Wartet ab, was wir daraus machen werden! Merkt euch gern schon mal dieses Bild...



Hier ein paar typische Befunde einer Pfostengrube bei einer archäologischen Ausgrabung. Das Holz ist längst weg, aber der "Pfostenschatten" ist noch da. Toll, oder? Das kommt davon, dass das verrottete Holz einen dunklen Humus bildet, der nun das Loch füllt. Und weil das Loch seinerzeit in den hellen Sand eingetieft worden ist, zeichnet sich dieser Humus natürlich schön deutlich ab. Ein Pfosten, der in schwarz-braunem Boden gestanden hat, würde vermutlich nicht einmal entdeckt. Eggers, einer der großen Heroen der Archäologie, hat einmal geschrieben: "Nichts ist von größerer Dauerhaftigkeit als ein ordentliches Loch." Oder so ähnlich.


So, hier endet nun Teil Eins. Nun wisst ihr, was Sache ist. Und nun geht es an die Arbeit. Im nächsten Teil.

Chris  


_____________________________________________________________

**ZIMMERMANN, W. H.: Pfosten, Ständer und Schwelle und der Übergang vom Pfosten- zum Ständerbau. Eine Studie zu Innovation und Beharrung im Hausbau. Probleme der Küstenforschung im südlichen Nordseegebiet 25, Oldenburg, 1998.















Samstag, 30. Mai 2020

Auf Lehmputz die Kalktünche. Das Weiß der Antike.

"Nicht einmal Bruchsteine oder Ziegel sind bei ihnen im Gebrauch; sie benutzen zu allem ein unscheinbares Baumaterial, das keinen erfreulichen Anblick bietet. Einige Flächen bestreichen sie dagegen besonders sorgfältig mit einer so hellen und glänzenden Erde, dass es wie Malerei und Farbenzeichnung aussieht."
TACITUS, GERMANIA



So kommt unser Bauprojekt tatsächlich nun zum Ende. Die letzten Maitage sollten uns das ideale Wetter dafür bescheren. Die Jungs vom Lehmbau gaben richtig Gas, um alles noch im Mai fertig zu bekommen. Beim Bauen mit solchen uralten Techniken und mit Naturstoffen muß immer auch bedacht werden, wie das Wetter ist. Steht die Luft und es herrscht hohe Luftfeuchte, trocknet alles viel langsamer als mit leichtem Luftzug und trockener Witterung. Knallt die Sonne aber und es weht ein kräftiger Wind, trocknet alles womöglich viel zu schnell. Doch in diesem Mai stimmte einfach alles.



Und so konnten die Lehmbauer die Innenwände zügig fertigstellen. Vom Innenleben der Wände sieht man nun nichts mehr.




 Das Aussehen der frisch entstandenen Wände ist ruhig und aufgeräumt.





 Alles bekommt fast etwas Makelloses.





























 Aber das war alles erst nur grob!






Vom letzten post wißt ihr ja noch, wie es von außen aussieht. Es hat sich hier zunächst noch nichts verändert....




Das könnte man zwar jetzt eigentlich alles schon so lassen, aber dieses Projekt ist inzwischen schon dafür bekannt, immer noch eine Schippe mehr draufzupacken.






Und so wird alles noch mal naß und fein geputzt. Eine dünne frische Lehmschicht, feiner gemagert und mit kleinerem Häcksel versehen, wird zügig aufgetragen, damit auf dieser Schicht, naß in naß, die eigentliche Außenschicht aufgetragen werden kann: Die Tünche aus Sumpfkalk! Frisch auf frisch, naß auf naß.





























Bei gutem Wetter legen deshalb Olaf und Frank einen riesen Zacken zu. Es gilt, schnell zu sein. Denn alles muß eigentlich fast gleichzeitig geschehen. Der Hintergrund dieser uralten Technik ist spannend, aber laßt uns damit jetzt keine große Zeit verschwenden und erstmal einfach schauen, was passiert. Hinterher, wenn alles geschafft ist, gehen wir der Sache mal auf den Grund. Nur so viel: Frank, der Lehmbauer, hat für diesen Ablauf einen Begriff: "freskal" (von ital.: fresco, deutsch: "ins Frische").


Olaf, zugleich Karre und mehrere Kellen jonglierend..




Frank, konzentriert, aber mega zügig arbeitend...



Fast ist das, was die Leute hier machen, so etwas wie Alchemie!
Es spielen sich dabei enorme chemische Reaktionen ab.

Na kommt, gehen wir halt etwas in die Materie:
Vor richtig langer Zeit, vielleicht sogar Jahrtausende vor unserer Zeit, muß etwas merkwürdiges geschehen sein, das die Grundlage legte für das, was wir hier erleben. An einer Stelle mit kalksteinigem Untergrund unterhielt irgend jemand für ein paar Stunden ein hübsches Lagerfeuer, bis ein enormer Wolkenbruch dem Vergnügen ein jähes Ende bereitete und unseren urgeschichtlichen Freund - oder unsere Freundin - zum Rückzug unter irgendein Dach zwang. Je nachdem, wie lange die Geschichte zurück liegt, war es vielleicht eine Zelthaut, vielleicht aber auch ein Schilfdach. Doch selbst, als sich der Regen gelegt hatte, brodelte, zischte und köchelte es unter der Feuergrube gespenstisch weiter, so als ob unsichbare Mächte dort ihr Wesen oder Unwesen trieben. Irgendwann, nach einer längeren Zeit, muß unser Mensch bemerkt haben, daß an dieser Stelle der Kalkstein sich vollkommen verwandelt hat. Aus dem ehemals harten Gestein war etwas ganz anderes geworden, das bei Nässe einen weißen Schlamm mit cremiger, fast schmieriger Konsistenz bildete. Die Masse war weiß und ließ sich verstreichen. Wurde sie trocken, war sie hart und wasserfest. Vielleicht war das auch ganz anders: Eine Kochgrube könnte die Entdeckung auch hervorgebracht haben! Denn bevor Keramikpötte bekannt waren, konnte man in mit Tierhaut ausgeschlagenen Gruben Wasser zum Kochen bringen, indem man zuvor im Feuer erhitzte Steine nach und nach hineingab, bis das Wasser siedete. Diese Steine könnten Kalksteine gewesen sein. Wie auch immer, das Brodeln und Zischen und Kochen wird auch in diesem Falle die Beteiligten erstaunt haben, da es mit diesen Steinen sicher viel brachialer ablief als mit anderen. Sogar bereits erkalteter, vormals im Feuer gebrannter Kalk wird beim Kontakt mit Wasser eine heftige Reaktion durchmachen, bei der sich sogar eine große Hitze entwickelt. Stellt euch mal vor, wie die Leute wohl geguckt haben, wenn jemand einen solchen kalten Brocken, den auch alle zuvor brav angefasst haben, um sich zu überzeugen, daß er wirklich kalt ist, in eine Grube mit kaltem Wasser warf, und dieses Wasser plötzlich zu sieden anfing! Zauberei!

Wie genau das Verfahren nun entdeckt wurde, werden wir wohl nie erfahren. Wenn man Kalk brennt und diesen dann mit Wasser in Kontakt bringt, dann verwandelt er sich unter heftiger chemischer Reaktion zu Calciumhydroxid (Ca(OH)2 oder Kalkhydrat, deshalb auch Löschkalk genannt. Wird dieser Löschkalk lange genug eingesumpft, entsteht der sogenannte Sumpfkalk. Und genau damit haben wir es hier tatsächlich zu tun!


Hier schimmert es schon, zunächst milchig, fast schüchtern:





So sieht das einfach erstmal aus, wenn eine wässrige Lösung unseres Sumpfkalks nun als Tünche auf unsere Lehmwände aufgetragen wird. Nicht schön? Wartet ab! Der Rest passiert von nun an ohne jeden menschlichen Eingriff. Denn beim Trocknen wird es auf einmal immer heller. Und wenn noch die Sonne heftig draufknallt, sogar fast richtig weiß! Je mehr Sonne, desto strahlender. Der Süden Europas ist berühmt für seine strahlend weißen Ziegelbauten. Und genau hier ist dieses Verfahren auch vermutlich zum ersten Mal zum Einsatz gekommen. Denn Mauern aus Ziegelsteinen werden im Sommer sehr heiß. Werden sie jedoch weiß getüncht, reflektieren die Außenwände das Sonnenlicht, und der Raum bleibt innen kühler. Tongefäße, durch deren Wandung Feuchtigkeit verdunstet, gaben zusätzlich eine Art Klimaanlage für den Innenraum ab. Das brauchte man hier im Norden zwar alles bislang nur selten, aber weil diese Kalktünche eine Lehmwand wetterfest macht, war ihr Einsatz auch hier sicher nicht ohne Vorteile. Im Innenbereich eines Hauses gewinnt man so dazu noch eine überraschende Helligkeit. Auch schützt in Stallungen diese Tünche vor Schimmelbefall, da sie stark basisch ist.

Wir vermuten, daß unsere Schnippenburger diese Technik kannten. Und weil wir hier nun absichtlich einmal sehr "keltisch" bauen, kommt dieses spannende Verfahren nun auch zum Einsatz.

Erlebt mit uns durch die folgende Bildstrecke, wie die Wände langsam immer heller werden! Der Prozess, der hier abgebildet wird, zog sich allerdings in Wahrheit über Tage hin. Er ist am Ende dieses Beitrages immer noch nicht abgeschlossen. Vielleicht beobachtet ihr das ja mal selbst in den nächsten Tagen und Wochen! Wenn ihr regelmäßig hier vorbeischaut, werdet ihr Zeugen dieser einzigartigen Verwandlung!









Am ersten Tag nach dem Tünchen









 Noch sind es nur einzelne weiße Flecken auf dem Lehmputz...





 Auch hier sieht es noch nach nicht viel aus!





 Aber an diesem Stöckchen sieht man schon, worauf es hinauslaufen kann...










 Nur ein Tag später:



Am zweiten Tag nach dem Tünchen. Es wird schon heller!


 Unser "keltischer" Bau zeigt sich langsam so, wie wir ihn uns gedacht haben...












 Ganz glatt!












Die Nordost-Wand in einem Vorher-Nachher-Vergleich:

Vorher, mit "freskal" aufgetragener Tünche aus Sumpfkalk, noch ganz durchsichtig:

 


Ein Tag später, bereits in chemischer Verwandlung:





Auch innen passiert langsam was! Vormittags scheint hier gut die Sonne hinein...

Der vordere Teil dieser Innenwand hat ihre Strahlen etwas länger abbekommen. So kann man den Prozess gut begreifen. Das gleicht sich in den nächsten Tagen noch einander an.






























In der Nahaufnahme seht ihr gut, wie glatt diese Wände werden. Ist es das, was unsere Rauhfasertapete imitieren soll? So ist es!

















 Die Sonne kommt heute noch einmal raus. Nun wirkt es fast leicht gelblich.





Das liegt aber nur daran, daß der Lehm immer noch durchscheint. Aber was passiert eigentlich genau bei dieser Verwandlung zu undurchsichtigem Weiß, dem Weiß der Antike? Die UV-Strahlung und der Wasserverlust werden die Schicht nach und nach chemisch verändern, so daß sie nicht nur undurchsichtig wird; die Substanz nimmt währenddessen Kohlenstoffdioxid aus der Luft auf, und wird dadurch selbst zu Calciumcarbonat, also tatsächlich: zu einer dünnen Schicht Kalkstein!




Gerade außen wirkt sich die glatte Oberfläche günstig aus. Regenwasser, das gegen den Giebel schlägt, läuft schnell ab, und die Wand kann nicht durchweichen. Es bräuchte schon extrem sauren Regen, um den Kalk aufzulösen und abzuwaschen, bevor das Wasser den darunter liegenden Lehm erreichen kann.






 Der fahle Mond am Tageshimmel, die fahle Wand im Vordergrund... toll, oder?










 So steht sie nun da,






 unsere ganz eigene Form...




des Weißen Hauses. Allerdings ist ihr Inneres viel weniger hohl, obwohl es sogar noch komplett leer ist. Aber das ist auch gar kein großes Kunststück, so wie die aktuellen Verhältnisse nun mal sind.*)

*) zur Zeit, als diese Zeilen geschrieben werden, sitzt ein Mann mit gelbem Haar im Weißen Haus, für den ein roter Knopf am Schreibtisch eingebaut worden ist. Wenn er da drauf drückt, kommt nicht etwa der höchste Soldat des Landes mit dem Code-Koffer, nein, es kommt ein Butler mit einer eisgekühlten Cola. Da diese Zeilen aber ganz bestimmt die Amtszeit des gelbhaarigen Mannes überdauern werden, wird es sicher Sinn machen, diesen Vergleich hier zu erläutern.





Noch einmal werden wir uns hier im blog melden, um den Fortgang des ruhmreichen Wandweißens auch denen von Euch zu zeigen, die zu weit weg wohnen, um das selbst beobachten zu können. Die anderen von euch können jederzeit einfach mal "in echt" gucken kommen. Aber dann kommt auch der blog - oder sagt man das blog? - vorläufig zum Ende. Wir hoffen, es hat euch Spaß gemacht, das Werden dieses eigenartigen Projekts zu verfolgen!


Schöne Pfingsten euch!
Chris