Erster Teil: Das Problem.
Wir waren mal wieder im Einsatz auf dem Eisenzeitgelände. Diesmal ging es um eine Not-OP. Der Patient: Das Wohnstallhaus auf dem Eisenzeitgelände.
Es ist Adventszeit, da haben viele von euch sicher Lust auf etwas Lesestoff. Klar, sollt ihr bekommen.
Für alle, die keine Zeit haben, sich zu vertiefen: scrollt bis zur gestrichelten Linie herunter, da beginnt die Untersuchung des Patienten.
Für alle anderen: Lesestoff.
Es gibt vielerlei Theorien dafür, warum Menschen im Nordwesten Europas so lange Zeit Häuser gebaut haben, deren Stützpfosten tief in die Erde eingelassen waren, obwohl sie damit unweigerlich der Verrottung preisgegeben waren. Ein Haus zu bauen, von dem man von Anfang an wusste, dass es nur so lange stehen würde, bis die Pfosten, die es tragen, verfault sein würden, entspricht so gar nicht dem modernen Gedanken der Nachhaltigkeit. Natürlich hat auch die Archäologie lange über die Gründe dafür philosophiert. Werfen wir mal alle möglichen Überlegungen hier auf.
- Keine Ahnung: Die Leute haben es einfach nicht besser gewußt. Kannten nix anderes. Gegen diese Ansicht spricht, dass zum Teil mehrere Jahrhunderte lang bis noch weit in die historische Neuzeit hinein immer noch Pfostenbauten errichtet wurden, obwohl im gleichen Zeitraum und in der gleichen Gegend bereits aller Orten Ständerbauten gebaut wurden, zum Teil von denselben Leuten.
- Bei einem Pfostenbau wird das Haus bereits durch die Erde festgehalten und somit versteift, so dass es nicht umfallen kann. Man spart sich damit aufwändige und mit einfachen Werkzeugen kaum machbare Querverbindungen. Dagegen spricht, dass Querverbindungen so aufwändig gar nicht sind und mit einfachsten Werkzeugen zu machen sind. Löcher zu graben macht auch Arbeit.
- Was einmal Tradition geworden ist, wird nicht so schnell aufgegeben, auch wenn Neuerungen schon lange Einzug gehalten haben. Ja, viel ist gesagt und geschrieben worden über mögliche symbolische Bedeutungen des "erdfesten Bauens". Schließlich ist man im Nordwesten gerne "erdverwachsen". Waren die Pfosten-Fans also altmodisch oder gar "abergläubig", während die Ständer-Fans die progressive Avantgarde ihrer Zeit waren?
- Die Erbfolgetradition ist schuld! Die nächste Generation sollte bewusst bei null anfangen. Somit brauchte ein Haus auch nur eine Generation zu überleben. Eine verlockende Theorie. Man hört und liest, das Felder in Gegenden mit schwierigen Böden mitunter gut und gerne nach ein paar Fruchtfolgen fix und fertig waren und danach langer Erholung bedurften, um wieder genügend Ertrag zu erbringen. Der Hof und sein unmittelbares Umfeld waren nach der Ansicht einiger nach einer Generation schlicht abgewirtschaftet. Die nachfolgende Generation wechselte den Siedlungsplatz, nahm vielleicht alle brauchbaren Teile der alten Gebäude mit und baute neu. Damit musste man auch nicht so lange warten, denn die alte Generation machte es ja gar nicht so lange damals. Nach fünfzig Lebensjahren war ohnehin Game Over. Klingt gut. Was aber, wenn die Pfosten eines Wohnstallhauses schon viel eher in die Dutten gingen (norddeutsch für "kaputt gehen")? So nach 10 oder 12 Jahren zum Beispiel. Ach, 12 ist alt genug, um den eigenen Hof zu gründen, oder? Was aber machten die zwölfjährigen Neubauern dann mit den Eltern, die womöglich erst mitten in ihren Dreißigern waren? Dazu kommt, dass, wenn alles gut lief, im Schnitt alle anderthalb Jahre eine neue Generation das Licht der Welt erblickte. Klar, nach gängiger Meinung überlebte ein guter Teil seinen fünften Geburtstag nicht. Aber dennoch. Niemand hinterließ nur einmal Nachkommen und brachte diese dann durch bis ins Erwachsenenalter, wann immer man das ansetzen will. Antike Quellen geben Hinweise, nach denen der Erwachsenenstand nicht vor dem Einsetzen der modernen Volljährigkeit erreicht war. Also haben wir ein Problem mit dieser Theorie.
Machen wir uns nichts vor. Wir wissen einfach nicht, warum man so baute und nicht anders.
--------------------------- So, genug gestrichelte Linie.
Vor etwas mehr als zwölf Jahren haben wir das große Wohnstallhaus auf dem Eisenzeitgelände gebaut.
Und nun haben wir ein ziemliches Malheur. Die Pfosten sind am Übergang zum Erdreich verrottet*! Auch die Dachreiter auf dem Dachfirst sind verrottet. Aber ist das nicht ein bisschen früh? Sollten solche Eichenpfosten nicht doch etwas länger halten? Müssen wir jetzt damit rechen, alle 12 Jahre alles einzureissen und neu zu bauen? Ruhig Blut! Wir gehen der Sache zunächst auf den Grund. Keine OP ohne sorgfältige Anamnese.
Zunächst ein bisschen Bautheorie für alle, die den blog nicht von Anfang an verfolgt haben.
Das Eisenzeithaus ist ein Pfostenbau. Bei einem Pfostenbau sind alle stützenden und tragenden Pfosten tief ins Erdreich eingetieft. Im Gegensatz dazu stehen bei einem Ständerbau diese Stützen auf Sockeln, Mäuerchen oder Holzschwellen. Die bekannten historischen Fachwerkhäuser zum Beispiel. Während ein Pfostenbau nur so lange sicher steht, bis die Pfosten am oder im Erdreich verrottet sind, können Ständerbauten - ganz so wie die noch heute zu bestaunenden Fachwerkhäuser - Jahrhunderte überdauern. Damit die Stützen, die lose auf den Sockeln stehen, gut in Position bleiben, wurden sie horizontal miteinander verbunden. So steht ein solcher Fachwerk-Ständerbau wie ein Kasten auf seinen Sockeln. Man könnte ihn anheben und wegtragen, ohne dass er auseinanderfällt (bisschen Vorsicht dabei, klar).
Die Frage, wie man auf die Idee des Ständerbaus statt des Pfostenbaus gekommen ist, können wir vielleicht durch unser aktuelles Abenteuer für uns beantworten. Gleichzeitig kommt es uns aber gerade dadurch immer merkwürdiger vor, warum man das nicht viel früher schon so gemacht hat, und warum sich diese "Neuerung", nachdem man erstmals damit zu experimentieren begonnen hatte, noch Jahrhunderte lang gar nicht so recht durchsetzen konnte.
Zunächst fielen uns bereits vor ein, zwei Jahren morsche Bereiche an einigen Aussenpfosten des Eisenzeithauses auf. Wie sehr das Kernholz betroffen war, brachten im vergangenen Jahr einige mutige Prokeleien ans Tageslicht. Au weia! Bei einigen Pfosten fanden wir beim Prokeln bereits gar kein Kernholz mehr.
Hier die Bilder der Bestandsaufnahme: Erst mal die Dachreiter. (Man kann übrigens jedes Bild auch anklicken, dann vergrößert es sich!)
*bei der Sanierung fanden wir heraus, dass sie bis zum Grubenboden verrottet waren.
Einige Teile dieser Eichenholz-Trumme sind schon abgebrochen und heruntergefallen! Zum Glück ist niemandem dabei etwas passiert.
Diese Dinger müssen auf jeden Fall erneuert werden. Bevor es so weit ist, müssen sie entfernt werden, bevor sie noch jemandem auf den Kopf fallen. Aber das muß vorsichtig geschehen, denn die Dachhaut aus Ried und die Firsthaube aus Heidekraut dürfen auf keinen Fall dabei beschädigt werden, denn sonst regnet es womöglich so lange dort hinein, bis endlich die Neueindeckung mit frischem Heidekraut erfolgt.
Weiter geht es bei der Inspektion. Nun geht es an die Pfosten:
Tja. Wie weit geht der Zerfall im Inneren des Holzes weiter?
Dieser hier sieht gar nicht so übel aus...
Mal ranzoomen. Ohje! Ist das ein Loch?
Es war und ist ein Loch.
Hier haben wir so ein Loch mal etwas erweitert, um zu sehen, wie tief so etwas geht. Dieser Pfosten steht in der Mitte des Einganges. Ja, so ein Loch geht tief. Ist das, was da in die Tiefe geht, wenigstens noch ein klitzekleines bisschen Kernholz?
Nö. Nope.
Da ist gar nichts mehr! Nachdem das, was da unten noch dran war, herausgeprokelt ist, kann man die Hand hindurch stecken.
Die übrigen Pfosten machen auf den ersten Blick zwar einen guten Eindruck, aber kaum ein bisschen gescharrt, zeigt sich auch an ihnen ein ähnliches, wenn auch nicht ganz so fatales Bild.
Das Wasser tropft bei Regen vom Dachschilf direkt auf den Boden ab und bildet dabei einen Graben. Spritzwasser gelangt dabei auch an den Bereich der Pfosten. Feuchtigkeit, Sauerstoff und nährstoffreiches Holz - Holzzersetzer-Herz, was willst du mehr? Doch dazu später etwas ausführlicher.
Im Innenraum sehen die Pfosten vollkommen unauffällig aus. Sie tragen die Firstpfette. Sie stehen ja aber auch wettergeschützt. Da sollte eigentlich nichts verrottet sein. Oder doch? Lasst euch überraschen!
Der Lehmboden im Stall ist beim Trocknen schon kurz nach dem Einbau so gerissen. Er ist aber noch nicht stark zertreten. Im Stall wird auch weniger gelaufen. Was wohl echte Kühe diesem Boden angetan hätten. Wir glauben, dass sie ihn schon nach wenigen Wochen zu Brei getrampelt hätten.
Im Wohnteil hat es der Boden nach zwölf Jahren und tausenden von Besucher*innenfüßen inzwischen hinter sich. Brocken, die sich aus den Kanten der Schollen lösen, werden zu Staub zerrieben...
..der sich überall absetzt. Die Leute in der Eisenzeit müssen entweder den ganzen Tag mit Putzen und Staubwischen beschäftigt gewesen sein, oder an all das Ungemach gewöhnt, total verdreckt die staubtrockene Suppe geschlürft haben. Oder sie waren wesentlich smarter als wir. Wenn wir sie doch fragen könnten. Auch da müssen wir ran. Eine staubfreie, besser haltbare Bodenfläche muss geschaffen werden.
Aber das hat etwas mehr Zeit, denn der Boden kann einem erstmal nicht auf den Kopf fallen, es sein denn, man ist wirklich arg betrunken. (Der Entertainer Dean Martin erzählte einmal, dass er sich mit Frank Sinatra die Kante gegeben hat. Irgendwann lag Frankie dann am Boden, schaffte es aber noch, sich ein Glas einzuschenken (beide soffen mehr als nur gelegentlich). Dean sah zu ihm hinab und fragte ihn, was er da unten mache. Darauf sah Frankie auf Dean herab und antwortete: "Komm hoch, Junge! Wie kann man so besoffen sein?!" Es geht also.
Fest steht nach dieser Inspektion, die wir zusammen mit dem Bauamt durchgeführt haben, hier muss sehr zeitnah etwas geschehen. Bis es so weit ist, können wir aber schon wenigstens sichern, was zu sichern ist. Eine Not-OP erstmal.
Aber ist das eigentlich alles normal? Und wie kann man die Haltbarkeit eines solchen Pfostenbaus steigern? Es gibt doch schon so lange Freilichtmuseen, in denen ebenfalls Nachbauten und Rekonstruktionen solcher Häuser stehen. Welche Erfahrungen hat man dort gemacht?
Hierzu hat Hajo Zimmermann zum Glück sehr ausführlich recherchiert. Aus seinem Werk stammen demnach auch die folgenden Abbildungen**.
Spannend ist die dort enthaltene Tabelle zur Haltbarkeit unterschiedlicher Holzarten unter verschiedenen Einbaubedingungen. Hiernach befindet sich unsere Eiche nach 10 Jahren mit Bodenberührung bereits am Ende ihrer Tage. Da sind unsere zwölf Jahre ja sogar noch sportlich.
Hier sieht man aber auch gut den Unterschied zu den Eichenpfosten, die ohne Bodenberührung verbaut sind. Die halten dann sogar bis zu 120 Jahre, alle im Bauwerk weiter oben verbauten und besser geschützten Eichenteile sind sogar fast unbegrenzt haltbar. Da wird einem klar, warum viele sehr alte Fachwerk-Ständerbauten immer noch stehen und - wie vom Autor dieses blogs - sogar noch bewohnt werden.
Die nächste Grafik zeigt das typische Verrottungsbild an Holzpfosten. Der Pfosten verrottet zumeist am Übergang von Boden zu Luft. Mit einem Mantel aus Lehm oder Ton hat man in Japan traditionell versucht, vor allem Luftsauerstoff vom Pfosten genau in diesem Bereich oder sogar noch bis tief hinunter in die Grube fernzuhalten. Mit einigem Erfolg offenbar, wenn man die dortigen Untersuchungen an Altbauten betrachtet.
Versuche im Archäologischen Freilichtmuseum Oerlinghausen haben ebenfalls ergeben, dass Pfosten besonders am Übergang von Boden zu Luft verrotteten. Es gab aber auch Pfosten, die von unten verfault sind. Dort zersetzte sich das Holz von seiner Stirnfläche besonders bei glatt abgesägten Pfosten. Bei sauber spitz zu gebeilten Pfosten scheint das deshalb nicht so stark geschehen zu sein, weil die Holzzellen durch die Fläche der Axt zusammengepresst und verdichtet worden sind. Dort hatten es Mikroorganismen offenbar schwerer, in die Substanz einzudringen. Nach dem der Pfosten länger in der Erde war und das Erdreich sich "gesetzt" und verdichtet hatte, scheint dort ein Milieu entstanden zu sein, das aeroben Bakterien und Pilzen weniger Lebensmöglichkeiten gab. Soweit die Theorie.
Hier ein Pfosten vom Rössener Haus im Freilichtmuseum Oerlinghausen. Sieht fast genauso aus wie die an unserem Eisenzeithaus.
Es betrifft offenbar regelmässig zunächst die Aussenpfosten.
Um so überaschender ist es, dass sich in einem Freilichtmuseum in Dänemark bei der Untersuchung eines Innenpfostens im Stallbereich dieses Bild bot: Hier war von Verrottung zunächst nichts zu sehen, bis man den Bereich unter dem Pfosten einmal angegraben hatte. Schockierender Weise war dieser Pfosten bereits vollständig in der Erde aufgelöst. Weg. Nicht mehr vorhanden. Ein Ex-Pfosten. Nur noch braune Humuserde war von ihm übrig. Wenn wir das sehen, dann kommt uns eine bange Ahnung.... Kann ein Pfosten, der im Inneren steht, und der eigentlich vor der Witterung gut geschützt ist, so verrotten, dass man es zunächst nicht einmal bemerkt?
Hier noch ein paar hübsche Illustrationen von verschiedenen archäologisch oder bauhistorisch ermittelten Pfostengründungen, die das Einsinken der Pfosten unter Last verhindern sollten.
Da ist der Weg zum Ständerbau nicht mehr so weit, oder? Besonders das Bild mit dem kleinen Geschiebe hat es uns angetan (der Stein unter dem Pfosten. Man will ihn kleinen Findling nennen, aber die sind riesengroß und gelegentlich tonnenschwer). Wenn man diesen Stein nun genau am Übergang von Boden zu Luft platziert und darauf den Pfosten stellt, dann wäre man beim Ständerbau und der Pfosten könnte laut Tabelle weiter oben durchaus viele Jahrzehnte halten. Wartet ab, was wir daraus machen werden! Merkt euch gern schon mal dieses Bild...
Hier ein paar typische Befunde einer Pfostengrube bei einer archäologischen Ausgrabung. Das Holz ist längst weg, aber der "Pfostenschatten" ist noch da. Toll, oder? Das kommt davon, dass das verrottete Holz einen dunklen Humus bildet, der nun das Loch füllt. Und weil das Loch seinerzeit in den hellen Sand eingetieft worden ist, zeichnet sich dieser Humus natürlich schön deutlich ab. Ein Pfosten, der in schwarz-braunem Boden gestanden hat, würde vermutlich nicht einmal entdeckt. Eggers, einer der großen Heroen der Archäologie, hat einmal geschrieben: "Nichts ist von größerer Dauerhaftigkeit als ein ordentliches Loch." Oder so ähnlich.
So, hier endet nun Teil Eins. Nun wisst ihr, was Sache ist. Und nun geht es an die Arbeit. Im nächsten Teil.
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