Es ist vollbracht!
Nach fast exakt fünf Monaten ist nun also endlich der reine Holzbau des Speichers und "Wagenschuppens" fertig.
Nun fehlen "nur" noch die Lehmflechtwände und die Eichenbohlen für den Lagerboden.
Zugegeben, es ist eigentlich schon seit ein paar Tagen fertig, aber natürlich brauchte es danach erst einmal etwas Zeit, sich selbst mit dem überraschenden Ergebnis dieses baulichen Experiments* auseinanderzusetzen.
Aber hier nun zum ersten Mal ein kleiner Rundgang um das neue Gebäude.
Zunächst zeigt es sich als Vorläufer der späteren, in Ständerbauweise errichteten Fachwerkbauten. Es ist aber ein reiner Pfostenbau. Und es hat noch keine "echten" Fächer.
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Rückseite und Giebelseite |
Wenn man darum herum schleicht, entdeckt man seine besondere Funktion als Wagenschuppen durch seine breiten Einfahrten für Wagen. Eine frei hängende Traufe und der asymmetrische Schnitt machen seine Erscheinung ungewöhnlich.
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Giebel und Front |
Nach oben fällt der Blick zum Lagerboden hinauf, der das Gebäude um die Funktion eines Speichers erweitert. Hier kann zum Beispiel Getreide heraufgeschafft werden, damit es trocknen kann. Die Giebelseiten folgen der nordwestdeutschen Tradition und deuten die Nähe zu den zweischiffigen Konstruktionsweisen des küstennahen Raumes an.
Die Frontansicht dagegen durchbricht mit ihrer hochgezogenen Traufe diesen Eindruck.
Wir haben nun fast schon echte "südliche" Architektur vor uns, wie man sie sich in "keltischen" Oppida vorstellen kann. Aus dieser Perspektive wird nun endgültig die Funktion als sicherer Stellplatz für Wagen deutlich, und zwar sowohl für einfache Gebrauchswagen, wie Ackerwagen, als auch besonders für jene Wagen, die religiöse, gesellschaftliche oder auch reine Prestige-Funktion gehabt haben. Denn solche Wagen sind eines der beeindruckendsten kulturellen Kennzeichen der vorrömischen Eisenzeit bis hinauf ins heutige Dänemark. Es fehlte bislang allerdings immer an halbwegs plausiblen Ideen für die vernünftige Unterbringung dieser wertvollen Gefährte. Dieses Gebäude kann vielleicht nun dafür ein Vorschlag sein. Ein "langgestreckter" Speicher, wie sie Hajo Zimmermann** benannt hat, als ebenerdiger Wagenschuppen mit Lagerboden***.
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Frontseite |
Aber wie sieht es mit der Funktion als Lagergebäude aus?
Blickt man nach oben unter das Dach, wird einem der breite und sehr belastbare Speicherraum bewußt, den man erreichen kann, wenn man die beiden Längsträger von Latte zu Latte mit 5 cm starken Eichenbohlen belegt und dabei Luken frei läßt, durch die man per Stiege einteigen könnte, vielleicht sogar ab Ladefläche des Ackerwagens. Aber was zum Himmel soll man dort oben lagern?
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Der "Balken" |
Aus der vorrömischen Eisenzeit kennt man tausende sehr grob gemagerte Keramikgefäße, die mit bis zu 50 cm Duchmesser und gelegentlich sogar mehr als 70 cm Höhe als Vorratsgefäße angesprochen werden. Man geht vielfach davon aus, daß sie in den Boden eingelassen wurden, um bestimmte Prozesse zu ermöglichen, wie z. B. das Fermentieren von Feldgemüse oder die Maische-Gärung zur Herstellung von Bier (Lager) und so weiter.
Die wichtigste Aufgabe dieser dickbauchigen Töppe aber war es, Speisevorräte wie besonders das Getreide kühl zu halten. Doch Getreide darf keinesfalls feucht eingelagert werden, was die Notwendigkeit der vorangehenden Trocknung mit sich bringt. Je nach Witterung zur Erntezeit kann das aber mitunter sehr knifflig werden. Stellen wir uns nun also unseren Lagerboden vor, wie er bald ganze Wagenladungen Getreide schluckt, die in der sommerlichen Wärme unter dem luftigen Holzdach trocknen werden, bevor sie endlich zur weiteren Lagerung in jenen bauchigen Tongefäßen verschwinden, die dann bis zum Hals an einer vor Regen und Staunässe geschützten Stelle im kühlen Erdboden eingetieft werden. So manches lange Teil, wie Deichseln, aber auch jede Menge nur zur Erntezeit benötigtes Gerät, könnte dann im Anschluß für die lange Herbst- und Winterzeit hier oben Platz finden, denn unter diesem Dach stehen insgesamt 9 Meter Länge und fast 2,80 Meter Breite zu ihrer sicheren Unterbringung zur Verfügung.
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Hier fehlen die Eichenbohlen, die auf den beiden Längsträgern aufliegen sollen. |
Im nächsten Bild noch ein Blick in den Lagerboden, quasi aus der Perspektive "von Oberkante Eichenbohle". Die Querbalken, die die Sparren tragen, unterteilen die mögliche Lagerfläche. Natürlich kann man hier nicht aufrecht stehen, es sei denn, man ist sehr klein. Aber das ist für die Nutzung dieses Raumes auch gar nicht nötig. Man schüttet oder schiebt auf solchen Böden das Gut dorthin, wo man es deponieren will und kann sich selbst dabei auch kriechend bewegen. Mit Schiebern aus Holz kann man zum Beispiel von den Luken aus das trocknende Getreide regelmäßig wenden. Solche niedrigen Böden kennt man aus späteren Heuerhäusern als sogenannte "Kriechböden". Auch diese waren meist voll ausgenutzt. Mit steilerem Dachwinkel wäre allerdings eine etwas größere Höhe gewonnen worden, aber man kann nicht alles haben.
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Blick aus der Perspektive einer Maus, die den Lagerboden auskundschaftet. Weil die Eichenbohlen fehlen, wird das arme Tier nun allerdings hinunterstürzen. |
In Wahrheit sehen wir aber vor Regenschauern fliehende Menschen Zuflucht suchen, Schirme ausschütteln. Wir sehen Kinder Getreide mahlen, Brotlaibe formen, Wolle filzen, Fibeln biegen.
Zu guter letzt sehen wir bereits jetzt schon das alljährlich stattfindende Sommerfest vor uns und ahnen, daß sich hier dann ganz bestimmte Handwerker*innen niederlassen werden, um endlich windgeschützt und trockenen Hauptes ihre Kunstfertigkeit demonstrieren zu können.
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Wenn die Rückwand und die Seitenwände eingebaut sind, wird sich der Charakter des Baus noch einmal stark verändern. |
Und der hier muß jetzt einfach sein! Dieser Wagen ist wohl der prachtvollste eisenzeitliche Wagen, der bislang gefunden wurde. Er besitzt sogar eine gefederte Aufhängung des Wagenkastens! Daß es Funde von Bauteilen solcher Wagen auch von der Schnippenburg gibt, ist pulstreibend.
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Eisenzeitlicher Wagen von Vix, Frankreich; Bild: University of Texas |
Vermutlich wird es aber doch eher ein Fahrzeug aus dieser Modellreihe:
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Das macht sicher ne Menge Spaß! |
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Oder der?
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Einfacher Wagen vom Tranebær-Typ aus Dänemark; Bei diesem Typ ist die Deichsel mit einem Handgriff demontierbar. Bild: Jørgen Kraglund, Skalk |
Die gestelzte und damit klassische Variante des 15-Pfosten-Speichers haben wir uns für das nächste Projekt aufgehoben! Dann wird sich ein toller Gegensatz ergeben: zwei vollkommen unterschiedliche Gebäude, die auf genau dem selben Befund basieren. Das eine unsere Wollmilchsau, das andere die fachlich korrekte archäologische Rekonstruktion.
Für heute war es das von uns. Denkt nicht, wir lassen euch jetzt in Ruhe! Sobald es mit dem Lahmbau los geht, der dem Bau wieder einen vollkommen neuen und ganz anderen Charakter geben wird, sehen wir uns hier wieder. Bleibt gesund und munter! Und immer die Ruhe bewahren.
RGG (Rheinisches Grundgesetz) Artikel 3: Et hätt noch emmer joot jejange.
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Anmerkungen:
* Das Experiment:
15 Pfostenlöcher und jede Menge Bedürfnisse und Wünsche in einem Gebäude zusammenfassen, eine echte Denkaufgabe.
Das Problem war ja, daß ein weiterer Plattformbau, also ein "klassischer gestelzter Speicher", aktuell wenig praktischen Nutzen für den Betrieb des Eisenzeitgeländes haben würde. Es brauchte stattdessen ein "Abdach", unter das sich Gruppen bei plötzlich aufkommendem Regen flüchten könnten. Stabil sollte es sein für viele viele Jahre. Denn die Erfahrung mit den letzten Abdächern, die nach nur 7 Jahren in sich zusammenfielen, war lehrreich. Also sollte ein ebenerdig begehbarer Bereich mit möglichst großer überdachter Fläche und großer Haltbarkeit gebaut werden. Dennoch sollten die 15 Pfosten des Baubefundes vom Erlengrund in Ostercappeln-Venne wiedergegeben werden, und zwar im Originalmaßstab. Und in original Himmelsrichtung ausgerichtet.
Wir waren sehr gespannt darauf, was dabei herauskommen würde, wenn wir uns tatsächlich einmal vom Konzept, nach dem man immer bestrebt ist, einen möglichst großen pfostenfreien Innenraum zu erreichen, trennen, und einfach einmal auf viele Pfosten statt einer Plattform ein Dach setzen. Das ging bei dem Befund aus Venne, weil die Abstände zwischen den einzelnen Dreiergruppen der Pfosten groß genug waren. Da solch eine Dachfläche aber natürlich keine 15 Pfosten als "Stuhl" bräuchte, mußte nach "echten" Funktionen für die gesamte Anzahl Pfosten gesucht werden. Gefunden wurden diese Funktionen mit dem Konzept eines hohen Lagerbodens, der für große Lasten ausgelegt werden konnte, und mit dem Konzept der offenen, wandlosen Langseite mit frei hängender Dachtraufe.
Das überraschende Ergebnis ist nun ein Mehrzweckbau geworden, der sogar Sinn macht, und das nicht nur wohlwollend betrachtet. Er kann bei vorgeschichtlicher Nutzungsweise als Wagenschuppen und als Werkstatt, aber auch als Lagergebäude dienen und wird zugleich in heutiger Zeit als Abdach für Besucher und für die Nutzung in "kleinen" museumspädagogischen Programmen wie Schmuckwerkstatt, Filzen, Töpfern, Backen usw. genutzt werden können.
Das neue Gebäude ist also eine echte "eierlegende Wollmilchsau" geworden mit vielen konstruktiven Details, die nebenbei auch noch jede Menge interessante Unterhaltungen über traditionelle Holzbauweisen ermöglichen. Denn der bewußte Stilbruch, der durch die gewählte Dachhaut aus Eichenholzschindeln bereits erreicht wird, aber auch die aufwändige Konstruktion des Holzunterbaus, laden zu Diskussionen ein, wie Gebäude, von denen man nur die "Standspur" kennt, wohl oberirdisch ausgesehen haben, und worauf sich die regionalen traditionellen Bauweisen heute teils noch erhaltener historischer Bauten, baugeschichtlich gründen lassen könnten. Ein spannendes Thema für sich. "Das hat so sicher nicht ausgesehen." "Warum nicht?" "Na ja, weil..." ... und schon ist man mitten in einer sehr konstruktiven Diskussion. Zum Beispiel um die Frage, ob "Vielpfostenbauten" immer "gestelzte" Speicher waren. Und wie genau gestelzte Speicher konstruiert waren. Als "Schwellenbau" auf Stützen, während für ebenerdige Bauten die viel vergänglichere Pfostenbauweise noch Jahrhunderte fortbestehen sollte? Oder als Pfostenbau mit erhöhter Balkenlage, die den Lagerboden trug?
** Zimmermann,
W. H., 1992: Die Siedlungen des 1. bis 6. Jahrhunderts nach Christus
von Flögeln-Eekhölten, Niedersachsen. Die Bauformen und ihre Funktionen.
Probleme der Küstenforschung im südlichen Nordseegebiet 19, Oldenburg. Abb. 185, 186, 187 u. 191.
Beschreibung Seite 241:
"Eine eigene Kategorie, bei der nicht so sehr die Zahl der Pfosten, sondern die Form des Grundrisses bestimmend ist, bilden die langgestreckten Speicher. Zu ihnen gehört vielleicht schon ein Teil der oben besprochenen Sechs-PfostenSpeicher.
Die hier vorgelegten elf Grundrisse können zu sehr unterschiedlichen Gebäuden gehört haben, außer zu Speichern und/oder zaunparallelen Pfostenrosten können sich darunter Reste des Innengerüstes von Langhäusern oder Wandpfosten von Nebengebäuden verbergen. Dafür sprechen auch die hier folgenden P-Kartierungen von SP 75 und 76. Die Größe der langgestreckten Speicher liegt zwischen 8 m2 und 45 m2 (Durchschnitt 26,6 m2).
Vergleichbare Grundrisse sind z.B. in Beers, Gassei, Nord-Brabant (NL) zutagekommen (BAZELMANS 1991, 136 f.)"; ZIMMERMANN, 1992, S. 241
*** bei W. Haio Zimmermann "Die Siedlungen des 1. bis 6. Jahrhunderts nach Christus von Flögeln-Eekhöltjen, Nieder Sachsen: Die Bauformen und ihre Funktionen" findet sich folgende interessante Beschreibung von Remisen mit Speicherfunktion:
Beschreibung S. 261:
"Wagenschauer mit 'Stützen' werden in
den Erdbüchern im westlichen Südschleswig mehrfach erwähnt. Ihre
Funktion geht spätestens im 18. Jh. auf die Scheunen über. Erhalten
ist vielleicht noch ein Gebäude, von dem BEDAL vermutet, daß das
kleine, heute als Wohnhaus dienende Gebäude ursprünglich ein
offener, längs aufgeschlossener Wagenschauer war. Interessant im
Vergleich zu den zaunparallelen Pfostenrosten ist das möglicherweise
als Speicherraum genutze Dachgeschoß. Eine Verbindung von Speichern
und Remisen zeigt sich vielleicht auch in den Vierlanden, wo
Kornspeicher und 'schuppenartige Wandständerbauten' gegen Ende des
18. und im 19. Jh. in der gleichen Kategorie versichert wurden (GROTE
1982, 296). Auch in Gloucestershire, England, fanden sich
Getreidespeicher in einigen Fällen über Wagenschauern oder anderen
Nebengebäuden (PETERS 1988, 72). R. NORTH beschreibt um 1648 einen
wohl entsprechenden Bau: "In the Midlands they make frames
of wood, and lay sticks and rafts over and so lay corne upon them,
about 15 foot from the ground, and underneath they stow carts, plows
&c., where they stand dry; and next to the braces they line the
posts with brass tinsell (Streifen dünnen Messingblechs), and by
that means keep vermin (Ungeziefer) from ascending. And all thatch. By
this they pretend so great convenience in the sweetness of their corne,
and preservation of it, that nothing shall move them to doe as in the
East Angles, lay all in barnes." (COLVIN u. NEWMAN (Hrsg.) 1981,
97). Als eine andere Form der Mäusewehr wurden in diesem Fall die
Pfosten mit den Streifen dünnen Messingblechs wahrscheinlich so
glatt, daß Ungeziefer das Hochklettern erschwert wurde (Frau J.P.A.
FENLEY, Amersham habe ich für die Erläuterung der Bedeutung von
'tinsell' zu NORTH'S Zeiten zu danken). HARRIS (1992, Abb. 6D) bildet
einen Kornspeicher über einem Fuhrwerkunterstand aus England ab.
Im Fachschrifttum wird direkt geraten,
den Getreideboden über Schuppen, Schirrkammern und Wagenremisen
anzulegen, nicht aber über Wohnhäusern und über Ställen (KADURA
1864, 25). Gründe dafür sind einmal, daß über den Remisen die
Ausdünstungen und Temperaturschwankungen, wie sie über Stall- und
Wohnbereich herrschen, entfallen, zum anderen die Feuersicherheit
aufgrund der isolierten Lage im Hofbereich und der Nutzungen, zu der
man selten offenes Licht benötigt." ZIMMERMANN, 1992, S. 261