Mittwoch, 2. Dezember 2020

Erste Hilfe für das Eisenzeithaus oder: Rocking The Iron Age House. Zweiter Teil: Die Lösung.

Zweiter Teil: Die Lösung. (Für den ersten Teil klickt hier!)

Fest stand nach der Inspektion, hier muss sehr zügig etwas geschehen. Bis es so weit ist, können wir aber schon wenigstens sichern, was zu sichern ist. Eine Not-OP erstmal. 

Erst einmal rauf auf's Dach, um die gefährlichen Dachreiter abzubauen.

Zunächst gilt es, Torben oben einen sicheren Arbeitsplatz zu verschaffen. Von da oben gibt Torben Zeichen, wie Christian den ausfahrbaren Arm des Teleskopladers steuern soll, an dessen Ende die Palettengabel eine breite Palette hält, auf der Torben nicht nur stehen, sondern auch die abmontierten Dachreiter sogleich hinter sich aufstapeln kann. Sie einfach herunter zu werfen würde möglicherweise Schaden am Reetdach anrichten. Ausserdem weiß man nie, wer plötzlich zufällig da unten auftaucht. Bei dieser Prozedur ist Torben mit einem Klettergurt und Seil gesichert. Man kann böse fallen. Die Leiter steht bereits bereit. Nachdem ein erster Teil Dachreiter abgebaut ist, fährt Christian Torben schräg ungefähr auf die Hälfte des Daches hinunter, legt die Leiter an die Ecke der Palette an, um Torben das Hinabsteigen zu ermöglichen. Dann fährt Torben den Lader geschickt in mehreren Zügen vom Dach weg, um die Holzteile weg zu bringen. Der Teleskoplader hat zwar vorne ausfahrbare Stemmfüße, mit denen er sich gegen das vornüber Kippen schützen kann, aber diese Dinger müssen ja zum Drehen des Gerätes eingefahren werden. Mit dem Gewicht so weit vorne und bei dem Gefälle des Hanges - auch nach vorne - kann so ein Lader auch mal beim Einschlagen der Lenkung umkippen. Torben kennt sein Gefährt zum Glück genau. Danach das Ganze etwas weiter rechts. Stück für Stück verschwinden die verrotteten Teile vom Dachfirst. Bei dieser Gelegenheit bessert Torben auch gleich die Stellen aus, die kaputt gegangen sind. Ob starker Wind, der ein oder andere Orkan, irgendwas hat immer mal wieder an den Holzteilen gerissen und so konnten sie zum Schluß auch für den eigentlichen First gefährlich werden. Sie waren nun ja nicht mehr schwer und massiv genug um stabil zu liegen.

 


Oben bietet sich ein guter Eindruck, wie die Firsthaube aus Heidekraut und das Reet die Jahre überstanden haben. Das Heidekraut ist mit Holzsplinten festgesteckt wie der Hut manch einer vornehmen Dame beim Pferderennen von Ascot.










 

 


 

Nachdem die übel aussehenden und gefährlich maroden Dachreiter und alle seitlichen Holzteile unter dem Eulenloch (das tatsächlich immer wieder von Eulen genutzt wird!) entfernt sind, gibt es nun nichts mehr, das vom Dach herunter und vorbeischlendernden Müßiggängern auf den Kopf fallen kann.



Die Nordseite des Daches hat etwas Moos angesetzt, aber noch nicht so viel, dass es nicht mit einem leichten Abrasieren behoben wäre. Der Heidekrautfirst muß allerdings ohnehin zeitnah erneuert werden. Bei dieser Gelegenheit ist dann auch die Pflege der Moosseite des Daches an der Reihe.



Die Sonnenseite ist noch tadellos. Hier sieht man, was schnelle Trocknung am Licht und vor allem UV-Strahlung bewirken können. Reet ist extrem UV-beständig, Moose dagegen mögen direktes Sonnenlicht offenbar gar nicht.



Am nächsten Tag geht es an die Pfosten. Im nächsten Bild sieht man an dem Stein schon, was wir im Schilde führen. Der mittlere Eingangspfosten hat ohnehin keinen Kontakt zum Boden mehr. Wir werden ihn sauber abschneiden, und zwar im noch gesunden Teil des Holzes, knapp oberhalb der Stelle, an der der verrottete Teil beginnt. Darunter schaffen wir genau den Platz, den der Stein für sich in Anspruch nehmen wird, wenn er den Pfosten fortan tragen soll.



Es ist kein leichtes Unterfangen, dort eine Grube zu graben. Denn die Pfosten standen in einem Gemisch aus Beton und Schotter. Das war ein Experiment. Es hat die Lebensdauer der Pfosten nicht verlängert.

 


 

 Auch der rechte Eingangspfosten hat eigentlich keinen echten Kontakt mehr zum Boden. Wir sind gespannt, was uns erwartet, wenn wir den kritischen Bereich ausstemmen.

 


Oben hängt der Pfosten noch an seinem Zapfen im Zapfenloch des Rähms, das hier zugleich die Fußpfette bildet. Darauf wiederum lasten sehr schwere Eichensparren. Sie sind so schwer, weil sie recht dick sind. Sie müssen ja viele Meter vom Rähm bis oben zur Firstpfette überspannen und dürfen sich dabei unter der Last des gar nicht so leichten Reetdaches mit seinen vielen Latten aus Eiche nicht durchbiegen.


Vor über zwölf Jahren hat Torben den Holznagel eingeschlagen. Nun muß er wieder raus, um den Pfosten abnehmen zu können. Heraus Schlagen geht nicht mehr, zu sehr ist er gequollen. Er sitzt bombenfest, wie mit dem umliegenden Holz verschweißt. Torben muß ihn herausbohren.




Auch bei dieser Arbeit muss besonnen vorgegangen werden. Viele Versuche gibt es nicht. Deshalb muss man genau überlegen, wie es gehen könnte, und so muss es dann auch wirklich gehen. Klappt es nicht, folgt ein Rattenschwanz der Ärgernisse: Neuen Stamm besorgen, aus dem ein Ersatzpfosten gemacht werden kann oder so etwas. Es ist nämlich ärgerlich, wenn man etwas schon zwei mal abgesägt hat, es dann aber immer noch zu kurz ist. Also genau messen und jeden Schritt durchdenken. Nichts ohne klare Absicht machen. 


So. Da liegt er nun, der Stein. Erinnert ihr euch an den ersten Teil, in dem das Bild von einem Originalpfosten zu sehen ist, der nach anderthalb Jahrtausenden immer noch auf seinem Stein ruht? Freilich, dieser Stein bildete das untere Ende des Pfostenlochs und sollte das Absinken des Pfostens verhindern. Hier werden wir ihn am Übergang vom Boden zur Luft platzieren, und den Pfosten stramm darauf aufsetzen. Und - schwupps! - ist der Übergang vom Pfostenbau zum Ständerbau geschafft! 



Das Problem ist nur, wie wir den Pfosten so stramm zwischen Rähmbalken und Stein einpressen wollen. Das Haus anheben, den Pfosten wieder in sein Zapfenloch stecken und mit einem neuen Holznagel sichern, dann das Haus wieder absenken, damit es sich mit seinem vollen Gewicht auf den Pfosten stützt, der wiederum sich auf den Stein presst. Klingt nach Unfug. Aber fast genau so werden wir es machen. Damit der Stein sich nicht nach unten in die Grube drückt, wird sie kurzerhand mit einem Mineralgemisch ausgestampft.




Nun kann die OP beginnen. Der Patient ist ja geduldig. Alles ist bereit.



Der Abstand des Steins zum oberen Rähmbalken entspricht genau der Länge des Pfostens mit einer ganz leichten Zugabe für den Fall, das das Gewicht den Stein noch ein, zwei Zentimeter herunter drückt. Es soll ja alles wirklich stramm sitzen. 

Weil wir den Pfosten aber nicht genau seitwärts zwischen Rähm und Stein einpassen können, da der Pfosten ja oben noch einen Zapfen hat, der ins Loch im Rähm muss, wir ihn also schräg dazwischen "einfädeln" müssen, und er dann mit seiner unteren Kante am Stein hängen bleiben würde, müssen wir das Rähm gleich so weit hochdrücken, dass der Rand des unteren Endes des Pfostens über den Stein gleiten kann. Erst mal sägt Torben einen passenden Balken, mit dem der Weg der Radwinde, die für das Hochdrücken zum Einsatz kommen wird, verlängert werden soll. Die Radwinde ist das blaue Ding neben dem Pfostenloch.




 

Radwinde steht, hat Spannung, Balken sitzt stramm zwischen Radwinde und Rähm, Torben hat den Pfosten mit seinem Zapfen ins Loch im Rähm gesteckt, unten sehen wir nun, wie weit die Radwinde den Rähmbalken hochdrücken müsste, um der unteren Kante des Pfostens über den Stein zu helfen. Fehlt jetzt nur noch, dass der Fotograf auch mal wieder arbeitet und zumindest an der Radwinde dreht.

 


Und das macht Christian dann auch. Oh weh, von rechts und links hört man es knacken und knarzen. Das Gebälk ächtzt, als wollten alle benachbarten Teile aus ihrer Verankerung springen.

Dabei sind es nur noch einige Millimeter. Aber zwei Millimeter Felsgestein sind zwei zuviel!





Fast glaubt man, dass es nur noch einen Zacken der Radwinde braucht, und alles fliegt uns um die Ohren. Aber der Pfosten muß auf den Stein.


Yeah! Geschafft! Hurrah! Der hat richtig "gefluppt", als er in seine Position sprang! Fast meint man, das Haus stöhnt vor Erleicherung. Der Patient schöpft Hoffnung!








Aber es fehlen noch zwei Pfosten, die auf die gleiche Art vorläufig gerettet werden müssen. Und jeweils am "Eck", also an der rechten und an der linken Außenseite des Eingangs wird das Hochdrücken noch kritischer. Wir verraten es dem Patienten an dieser Stelle natürlich nicht. 

Erst wird wieder knapp im "Gesunden" amputiert, äh, abgesägt.


Raus muß, was faul ist.



 

Wie tief geht es?  



 

Was? Das ist alles??? Das ist alles, was vom Pfosten unten noch übrig ist? Unglaublich!




Wer sich mit der Materie beschäftigen möchte, findet unter diesem Post am Ende einen kleinen Ausflug in die Welt der Verrottung. Hier ist klar: nachdem zunächst Pilzmyzelien die Pionierbesiedlung gebildet hatten, fanden nacheinander holzzersetzende Bakterien, Asseln und zum Schluß, als alles schön weich war, Käferlarven ihr Paradies. Übrigens waren es im "Eckpfosten" der anderen Eingangsseite die Ameisen, die dem Holz den Rest gegeben haben.



Spannend allemal. Wir entschließen uns, diese Stümpfe aufzubewahren. Zu Dokumentationszwecken. Ist alles Forschung. Auch das hier.


Nachdem das Loch gegraben ist, in das der nächste Stein versenkt werden soll, machte der Akku schlapp. So fehlt dieser Teil der Geschichte.


aber ihr könnt es euch denken, es ging wie beim Mittelpfosten, knack, knarz, flupp.


 

Hier das Ergebnis beim zweiten "Eckpfosten" des Eingangs. Der Stein ist nicht etwa untergeschoben. Das geht nicht, dann ist das alles zu locker, hat keinen Halt. Es wurde zuvor genau gemessen. Mit Übermaß. Der Stein wurde so platziert, dass der Pfosten nur mit Gewalt und nach Hochdrücken des Rähms mit der Radwinde auf sein neues vorläufiges Lager gestellt werden konnte. Bei diesen "Eckpfosten" konnten wir es nicht genau so wie mit dem Mittelpfosten machen, denn diese hier sind quasi mit der Lehmflechtwand verbunden. Und wir wollten keine größere Baustelle verursachen.




Nach zwei Tagen ambulanter Notfallbehandlung sind nun die schlimmsten Wunden des Patienten erst einmal versorgt, die OP ist gut verlaufen, der Patient hat alles gut überstanden.  Und er bekommt auch langsam wieder Farbe im Gesicht.







Das Bild von Hinfälligkeit und Verfall ist nun erst einmal von der Wand genommen. Wenn alles gut geht und alle Verbündeten dieses Projektes wieder so wie eigentlich immer zusammenhalten und sich wieder ins Zeug legen, dann kann hoffentlich sehr bald schon mit der dringend anstehenden Sanierung aller Pfosten begonnen werden, der Dachfirst mit frischem Heidekraut eingedeckt werden, und dann können die nächsten 12 bis 15 Jahre kommen. Aber halt! Wir haben dafür einen guten Plan. Die neuen Außenpfosten werden nach japanischer Methode eingegraben. Wir sind sicher, dass wir damit die nächste Not-OP auf locker über 20 Jahre hinaus schieben können. 


So, und nun sage noch jemand, dass die urgeschichtlichen Leute auf solche Ideen nicht auch gekommen sein können. Doch. Das sind sie bestimmt. Warum haben sie die Lebensdauer ihrer Häuser also nicht durch die Ständerbauweise verlängert? Oder haben sie? Und wir wissen nichts davon? Mal ehrlich, wie werden wohl unsere alten Pfostenlöcher des Eingangsbereichs unseres Eisenzeithauses  nun aus archäologischer Sicht aussehen? Unverändert! Niemand, der später einmal hier ausgräbt, wird unsere Reparatur im archäologischen Befund erkennen können. 


Schönes Ende, oder? Aber kennt ihr das? Wenn der erste Teil einer Spielfilmreihe ausklingt, kommt am Ende immer irgendwas, das den Zuschauer:innen andeutet, dass es demnächst eine Fortsetzung geben wird. So ein Arm des Monsters, der sich noch im Schlamm verstecken konnte und kurz vor dem Abspann noch mit der Hand zuvorderst wieder hervorkommt um zu winken. 

So soll es auch hier sein. Denn wir haben immer noch nicht das Rätsel um den wahren Zustand unserer Innenpfosten gelöst. Erinnert ihr euch? Im ersten Teil der Geschichte sahen wir uns ein Bild aus einem dänischen Freilichtmuseum an, in dem die Innenpfosten im Stall trotz perfekten Schutzes vor der Witterung von unten verrottet waren, ohne dass man es auch nur ahnen konnte.


Also Tür noch mal auf, und graben, oder?

Na kommt, klar, das machen wir. Wir wollen es ja wissen. ihr auch, nicht?



Ojemine.



Noch sieht er nicht so aus wie der in Dänemark. Er ist zumindest nicht vollkommen zu Erde geworden wie der Däne.


Keine Sorge, flüstern wir der Patientin zu. Wird schon! Kopf hoch! Wir werden uns gut um dich kümmern. 

Versprochen. 

Aber das ist wieder eine neue Geschichte.

Chris

 

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Epilog: Die versprochene Geschichte mit der Verrottung.

Am längsten hält sich Holz, wenn es sich entweder immer im Trockenen oder immer im Wasser befindet. Die bekanntesten Beispiele für solche Lagerungsbedingungen sind einerseits bis zu 2000 Jahre alte, vollständig erhaltene Pfosten von Gebäuden in Wüsten und andererseits Holz auf Meeres- oder Seeböden (Pfähle von Pfahlbauten oder Holz von Schiffswracks).

Wenn Trockenheit und Nässe häufig einander abwechseln, finden holzzersetzende Organismen ideale Lebensbedingungen und beginnen mit dem Abbau des Holzes, das, wenn sich diese wechselhaften Bedingungen nicht grundsätzlich ändern, mit der Zeit vollständig zersetzt wird. Dies läuft um so schneller ab, je stärke- und eiweißhaltiger das Holz ist oder je mehr unverholzte Zellen im Splintholz vorhanden sind. An historischen Pfostenhäusern ist erkennbar, dass Holzpfosten in der Erde sowie direkt über der Erde verrotteten, während sie in den oberen Teilen des Gebäudes sehr lange erhalten blieben, besonders, wenn sie durch den Rauch eines Herdfeuers imprägniert waren.

Darüber hinaus gibt es weitere Faktoren, die die Haltbarkeit von Bauholz beeinflussen.

Ein wichtiger Faktor ist das Klima. In subarktischen und arktischen, aber auch in alpinen Regionen hält sich Holz an Gebäuden länger als z. B. in feuchtwarmen Küstengebieten. Auch die Durchlässigkeit und der Feuchtigkeitsgehalt des Bodens wirken sich darauf aus, wie lange sich Holz erhält. Ist der Boden sehr trocken und wenig durchlässig für Gase wie Sauerstoff, bleibt Holz in niederschlagsarmen Regionen mitunter sehr lange erhalten. Ist der Boden stets feucht und undurchlässig, hält sich unter bestimmten weiteren Umständen Holz nicht viel weniger lange. Ist der Boden aber feucht und durchlässig, wechseln Nässe und Trockenheit häufig einander ab, entstehen zusammen mit der Einwirkung von Sauerstoff wieder jene Bedingungen, die wie oben beschrieben, den Angriff durch Fäulniserreger erleichtern.

Die Dimensionen des Holzbauteils sind von entscheidender Bedeutung dafür, wie schnell ein einmal begonnener und kontinuierlich weitergehender Zerfall zum Versagen des Bauteils führt. Ein Pfosten, der einen großen Durchmesser hat, wird länger bestehen als ein Pfosten mit sehr kleinem Durchmesser. Auch die Qualität des Holzes sowie die konservierende Behandlung gehören zu den bestimmenden Faktoren für die Erhaltungsfähigkeit von Bauholz.

Holz mit engen Jahrringen und geradem Wuchs hält länger als ein Holz mit weiten Jahrringen und Drehwuchs. Holz, das beim Trocknen zur Rißbildung neigt, wird schneller angegriffen als solches ohne Risse, da Risse das Holz in Teile mit kleinerem Querschnitt auftrennen. Auch die Bearbeitung wirkt sich unter Umständen auf die Haltbarkeit aus. So hat sich gezeigt, dass sauber gebeiltes Holz durch Verdichtung der Oberfläche weniger angreifbar durch Mikroorganismen ist als z. B. rauh gesägtes Holz. Werden Seiten von Balken mit dem Beil behauen, kommt es entscheidend darauf an, dass die zurückgelassenen „Schuppen“ später beim eingebauten Holz so orientiert werden, dass Wasser nicht in die Spalten laufen und an ihrem Ende lange einwirken kann, sondern dass das Wasser wie durch einen „Wasserabweiser“ vom Holz weggeführt und am dünnen Ende der „Schuppen“ abtropfen oder trocknen kann. Deshalb muss beim Bebeilen bereits darauf geachtet werden, wie das Bauteil später eingebaut werden soll.

Man muß sich klar machen, dass keine Schutzmaßnahme der Vergänglichkeit von Holz als Baumaterial  ein für alle mal entgegenwirken kann, irgendwann wird man es ersetzen müssen. Moderne, oftmals giftige Holzbehandlung macht spätestens dann eine Entsorgung des ausgebauten Teils zum Problem. Man wird mit der Vergänglichkeit am Ende leben, eine Entsorgung von vornherein einplanen und mit der Erneuerung nach gewisser Zeit rechen müssen.

 

Dienstag, 1. Dezember 2020

Erste Hilfe für das Eisenzeithaus oder: Rocking The Iron Age House. Erster Teil: Das Problem.

Erster Teil: Das Problem.

Wir waren mal wieder im Einsatz auf dem Eisenzeitgelände. Diesmal ging es um eine Not-OP. Der Patient: Das Wohnstallhaus auf dem Eisenzeitgelände.

Es ist Adventszeit, da haben viele von euch sicher Lust auf etwas Lesestoff. Klar, sollt ihr bekommen. 

Für alle, die keine Zeit haben, sich zu vertiefen: scrollt bis zur gestrichelten Linie herunter, da beginnt die Untersuchung des Patienten.

Für alle anderen: Lesestoff.

Es gibt vielerlei Theorien dafür, warum Menschen im Nordwesten Europas so lange Zeit Häuser gebaut haben, deren Stützpfosten tief in die Erde eingelassen waren, obwohl sie damit unweigerlich der Verrottung preisgegeben waren. Ein Haus zu bauen, von dem man von Anfang an wusste, dass es nur so lange stehen würde, bis die Pfosten, die es tragen, verfault sein würden, entspricht so gar nicht dem modernen Gedanken der Nachhaltigkeit. Natürlich hat auch die Archäologie lange über die Gründe dafür philosophiert. Werfen wir mal alle möglichen Überlegungen hier auf.

  • Keine Ahnung: Die Leute haben es einfach nicht besser gewußt. Kannten nix anderes. Gegen diese Ansicht spricht, dass zum Teil mehrere Jahrhunderte lang bis noch weit in die historische Neuzeit hinein immer noch Pfostenbauten errichtet wurden, obwohl im gleichen Zeitraum und in der gleichen Gegend bereits aller Orten Ständerbauten gebaut wurden, zum Teil von denselben Leuten. 
  • Bei einem Pfostenbau wird das Haus bereits durch die Erde festgehalten und somit versteift, so dass es nicht umfallen kann. Man spart sich damit aufwändige und mit einfachen Werkzeugen kaum machbare Querverbindungen. Dagegen spricht, dass Querverbindungen so aufwändig gar nicht sind und mit einfachsten Werkzeugen zu machen sind. Löcher zu graben macht auch Arbeit. 
  • Was einmal Tradition geworden ist, wird nicht so schnell aufgegeben, auch wenn Neuerungen schon lange Einzug gehalten haben. Ja, viel ist gesagt und geschrieben worden über mögliche symbolische Bedeutungen des "erdfesten Bauens". Schließlich ist man im Nordwesten gerne "erdverwachsen". Waren die Pfosten-Fans also altmodisch oder gar "abergläubig", während die Ständer-Fans die progressive Avantgarde ihrer Zeit waren?
  • Die Erbfolgetradition ist schuld! Die nächste Generation sollte bewusst bei null anfangen. Somit brauchte ein Haus auch nur eine Generation zu überleben. Eine verlockende Theorie. Man hört und liest, das Felder in Gegenden mit schwierigen Böden mitunter gut und gerne nach ein paar Fruchtfolgen fix und fertig waren und danach langer Erholung bedurften, um wieder genügend Ertrag zu erbringen. Der Hof und sein unmittelbares Umfeld waren nach der Ansicht einiger nach einer Generation schlicht abgewirtschaftet. Die nachfolgende Generation wechselte den Siedlungsplatz, nahm vielleicht alle brauchbaren Teile der alten Gebäude mit und baute neu. Damit musste man auch nicht so lange warten, denn die alte Generation machte es ja gar nicht so lange damals. Nach fünfzig Lebensjahren war ohnehin Game Over. Klingt gut. Was aber, wenn die Pfosten eines Wohnstallhauses schon viel eher in die Dutten gingen (norddeutsch für "kaputt gehen")? So nach 10 oder 12 Jahren zum Beispiel. Ach, 12 ist alt genug, um den eigenen Hof zu gründen, oder? Was aber machten die zwölfjährigen Neubauern dann mit den Eltern, die womöglich erst mitten in ihren Dreißigern waren? Dazu kommt, dass, wenn alles gut lief, im Schnitt alle anderthalb Jahre eine neue Generation das Licht der Welt erblickte. Klar, nach gängiger Meinung überlebte ein guter Teil seinen fünften Geburtstag nicht. Aber dennoch. Niemand hinterließ nur einmal Nachkommen und brachte diese dann durch bis ins Erwachsenenalter, wann immer man das ansetzen will. Antike Quellen geben Hinweise, nach denen der Erwachsenenstand nicht vor dem Einsetzen der modernen Volljährigkeit erreicht war. Also haben wir ein Problem mit dieser Theorie. 

Machen wir uns nichts vor. Wir wissen einfach nicht, warum man so baute und nicht anders.

---------------------------  So, genug gestrichelte Linie. 

Vor etwas mehr als zwölf Jahren haben wir das große Wohnstallhaus auf dem Eisenzeitgelände gebaut. 

Und nun haben wir ein ziemliches Malheur. Die Pfosten sind am Übergang zum Erdreich verrottet*! Auch die Dachreiter auf dem Dachfirst sind verrottet. Aber ist das nicht ein bisschen früh? Sollten solche Eichenpfosten nicht doch etwas länger halten? Müssen wir jetzt damit rechen, alle 12 Jahre alles einzureissen und neu zu bauen? Ruhig Blut! Wir gehen der Sache zunächst auf den Grund. Keine OP ohne sorgfältige Anamnese.

Zunächst ein bisschen Bautheorie für alle, die den blog nicht von Anfang an verfolgt haben. 

Das Eisenzeithaus ist ein Pfostenbau. Bei einem Pfostenbau sind alle stützenden und tragenden Pfosten tief ins Erdreich eingetieft. Im Gegensatz dazu stehen bei einem Ständerbau diese Stützen auf Sockeln, Mäuerchen oder Holzschwellen. Die bekannten historischen Fachwerkhäuser zum Beispiel. Während ein Pfostenbau nur so lange sicher steht, bis die Pfosten am oder im Erdreich verrottet sind, können Ständerbauten - ganz so wie die noch heute zu bestaunenden Fachwerkhäuser - Jahrhunderte überdauern. Damit die Stützen, die lose auf den Sockeln stehen, gut in Position bleiben, wurden sie horizontal miteinander verbunden. So steht ein solcher Fachwerk-Ständerbau wie ein Kasten auf seinen Sockeln. Man könnte ihn anheben und wegtragen, ohne dass er auseinanderfällt (bisschen Vorsicht dabei, klar).

Die Frage, wie man auf die Idee des Ständerbaus statt des Pfostenbaus gekommen ist, können wir vielleicht durch unser aktuelles Abenteuer für uns beantworten. Gleichzeitig kommt es uns aber gerade dadurch immer merkwürdiger vor, warum man das nicht viel früher schon so gemacht hat, und warum sich diese "Neuerung", nachdem man erstmals damit zu experimentieren begonnen hatte, noch Jahrhunderte lang gar nicht so recht durchsetzen konnte. 

Zunächst fielen uns bereits vor ein, zwei Jahren morsche Bereiche an einigen Aussenpfosten des Eisenzeithauses auf. Wie sehr das Kernholz betroffen war, brachten im vergangenen Jahr einige mutige Prokeleien ans Tageslicht. Au weia! Bei einigen Pfosten fanden wir beim Prokeln bereits gar kein Kernholz mehr. 

Hier die Bilder der Bestandsaufnahme: Erst mal die Dachreiter. (Man kann übrigens jedes Bild auch anklicken, dann vergrößert es sich!)

*bei der Sanierung fanden wir heraus, dass sie bis zum Grubenboden verrottet waren.





Einige Teile dieser Eichenholz-Trumme sind schon abgebrochen und heruntergefallen! Zum Glück ist niemandem dabei etwas passiert.




Diese Dinger müssen auf jeden Fall erneuert werden. Bevor es so weit ist, müssen sie entfernt werden, bevor sie noch jemandem auf den Kopf fallen. Aber das muß vorsichtig geschehen, denn die Dachhaut aus Ried und die Firsthaube aus Heidekraut dürfen auf keinen Fall dabei beschädigt werden, denn sonst regnet es womöglich so lange dort hinein, bis endlich die Neueindeckung mit frischem Heidekraut erfolgt.


Weiter geht es bei der Inspektion. Nun geht es an die Pfosten:


 

Tja. Wie weit geht der Zerfall im Inneren des Holzes weiter?





Dieser hier sieht gar nicht so übel aus...

Mal ranzoomen. Ohje! Ist das ein Loch?

 

Es war und ist ein Loch. 

Hier haben wir so ein Loch mal etwas erweitert, um zu sehen, wie tief so etwas geht. Dieser Pfosten steht in der Mitte des Einganges. Ja, so ein Loch geht tief. Ist das, was da in die Tiefe geht, wenigstens noch ein klitzekleines bisschen Kernholz?



Nö. Nope.



Da ist gar nichts mehr! Nachdem das, was da unten noch dran war, herausgeprokelt ist, kann man die Hand hindurch stecken.



Die übrigen Pfosten machen auf den ersten Blick zwar einen guten Eindruck, aber kaum ein bisschen gescharrt, zeigt sich auch an ihnen ein ähnliches, wenn auch nicht ganz so fatales Bild. 

Das Wasser tropft bei Regen vom Dachschilf direkt auf den Boden ab und bildet dabei einen Graben. Spritzwasser gelangt dabei auch an den Bereich der Pfosten. Feuchtigkeit, Sauerstoff und nährstoffreiches Holz - Holzzersetzer-Herz, was willst du mehr? Doch dazu später etwas ausführlicher.




Im Innenraum sehen die Pfosten vollkommen unauffällig aus. Sie tragen die Firstpfette. Sie stehen ja aber auch wettergeschützt. Da sollte eigentlich nichts verrottet sein. Oder doch? Lasst euch überraschen!


 

Der Lehmboden im Stall ist beim Trocknen schon kurz nach dem Einbau so gerissen. Er ist aber noch nicht stark zertreten. Im Stall wird auch weniger gelaufen. Was wohl echte Kühe diesem Boden angetan hätten. Wir glauben, dass sie ihn schon nach wenigen Wochen zu Brei getrampelt hätten.

 


Im Wohnteil hat es der Boden nach zwölf Jahren und tausenden von Besucher*innenfüßen inzwischen hinter sich. Brocken, die sich aus den Kanten der Schollen lösen, werden zu Staub zerrieben...



..der sich überall absetzt. Die Leute in der Eisenzeit müssen entweder den ganzen Tag mit Putzen und Staubwischen beschäftigt gewesen sein, oder an all das Ungemach gewöhnt, total verdreckt die staubtrockene Suppe geschlürft haben. Oder sie waren wesentlich smarter als wir. Wenn wir sie doch fragen könnten. Auch da müssen wir ran. Eine staubfreie, besser haltbare Bodenfläche muss geschaffen werden.


 

Aber das hat etwas mehr Zeit, denn der Boden kann einem erstmal nicht auf den Kopf fallen, es sein denn, man ist wirklich arg betrunken. (Der Entertainer Dean Martin erzählte einmal, dass er sich mit Frank Sinatra die Kante gegeben hat. Irgendwann lag Frankie dann am Boden, schaffte es aber noch, sich ein Glas einzuschenken (beide soffen mehr als nur gelegentlich). Dean sah zu ihm hinab und fragte ihn, was er da unten mache. Darauf sah Frankie auf Dean herab und antwortete: "Komm hoch, Junge! Wie kann man so besoffen sein?!" Es geht also.


Fest steht nach dieser Inspektion, die wir zusammen mit dem Bauamt durchgeführt haben, hier muss sehr zeitnah etwas geschehen. Bis es so weit ist, können wir aber schon wenigstens sichern, was zu sichern ist. Eine Not-OP erstmal.

Aber ist das eigentlich alles normal? Und wie kann man die Haltbarkeit eines solchen Pfostenbaus steigern? Es gibt doch schon so lange Freilichtmuseen, in denen ebenfalls Nachbauten und Rekonstruktionen solcher Häuser stehen. Welche Erfahrungen hat man dort gemacht?

Hierzu hat Hajo Zimmermann zum Glück sehr ausführlich recherchiert. Aus seinem Werk stammen demnach auch die folgenden Abbildungen**.

Spannend ist die dort enthaltene Tabelle zur Haltbarkeit unterschiedlicher Holzarten unter verschiedenen Einbaubedingungen. Hiernach befindet sich unsere Eiche nach 10 Jahren mit Bodenberührung bereits am Ende ihrer Tage. Da sind unsere zwölf Jahre ja sogar noch sportlich.

Hier sieht man aber auch gut den Unterschied zu den Eichenpfosten, die ohne Bodenberührung verbaut sind. Die halten dann sogar bis zu 120 Jahre, alle im Bauwerk weiter oben verbauten und besser geschützten Eichenteile sind sogar fast unbegrenzt haltbar. Da wird einem klar, warum viele sehr alte Fachwerk-Ständerbauten immer noch stehen und - wie vom Autor dieses blogs - sogar noch bewohnt werden.





Die nächste Grafik zeigt das typische Verrottungsbild an Holzpfosten. Der Pfosten verrottet zumeist am Übergang von Boden zu Luft. Mit einem Mantel aus Lehm oder Ton hat man in Japan traditionell versucht, vor allem Luftsauerstoff vom Pfosten genau in diesem Bereich oder sogar noch bis tief hinunter in die Grube fernzuhalten. Mit einigem Erfolg offenbar, wenn man die dortigen Untersuchungen an Altbauten betrachtet. 


Versuche im Archäologischen Freilichtmuseum Oerlinghausen haben ebenfalls ergeben, dass Pfosten besonders am Übergang von Boden zu Luft verrotteten. Es gab aber auch Pfosten, die von unten verfault sind. Dort zersetzte sich das Holz von seiner Stirnfläche besonders bei glatt abgesägten Pfosten. Bei sauber spitz zu gebeilten Pfosten scheint das deshalb nicht so stark geschehen zu sein, weil die Holzzellen durch die Fläche der Axt zusammengepresst und verdichtet worden sind. Dort hatten es Mikroorganismen offenbar schwerer, in die Substanz einzudringen. Nach dem der Pfosten länger in der Erde war und das Erdreich sich "gesetzt" und verdichtet hatte, scheint dort ein Milieu entstanden zu sein, das aeroben Bakterien und Pilzen weniger Lebensmöglichkeiten gab. Soweit die Theorie.

Hier ein Pfosten vom Rössener Haus im Freilichtmuseum Oerlinghausen. Sieht fast genauso aus wie die an unserem Eisenzeithaus.

Es betrifft offenbar regelmässig zunächst die Aussenpfosten.

Um so überaschender ist es, dass sich in einem Freilichtmuseum in Dänemark bei der Untersuchung eines Innenpfostens im Stallbereich dieses Bild bot: Hier war von Verrottung zunächst nichts zu sehen, bis man den Bereich unter dem Pfosten einmal angegraben hatte. Schockierender Weise war dieser Pfosten bereits vollständig in der Erde aufgelöst. Weg. Nicht mehr vorhanden. Ein Ex-Pfosten. Nur noch braune Humuserde war von ihm übrig. Wenn wir das sehen, dann kommt uns eine bange Ahnung.... Kann ein Pfosten, der im Inneren steht, und der eigentlich vor der Witterung gut geschützt ist, so verrotten, dass man es zunächst nicht einmal bemerkt?



Hier noch ein paar hübsche Illustrationen von verschiedenen archäologisch oder bauhistorisch ermittelten Pfostengründungen, die das Einsinken der Pfosten unter Last verhindern sollten.

Da ist der Weg zum Ständerbau nicht mehr so weit, oder? Besonders das Bild mit dem kleinen Geschiebe hat es uns angetan (der Stein unter dem Pfosten. Man will ihn kleinen Findling nennen, aber die sind riesengroß und gelegentlich tonnenschwer). Wenn man diesen Stein nun genau am Übergang von Boden zu Luft platziert und darauf den Pfosten stellt, dann wäre man beim Ständerbau und der Pfosten könnte laut Tabelle weiter oben durchaus viele Jahrzehnte halten. Wartet ab, was wir daraus machen werden! Merkt euch gern schon mal dieses Bild...



Hier ein paar typische Befunde einer Pfostengrube bei einer archäologischen Ausgrabung. Das Holz ist längst weg, aber der "Pfostenschatten" ist noch da. Toll, oder? Das kommt davon, dass das verrottete Holz einen dunklen Humus bildet, der nun das Loch füllt. Und weil das Loch seinerzeit in den hellen Sand eingetieft worden ist, zeichnet sich dieser Humus natürlich schön deutlich ab. Ein Pfosten, der in schwarz-braunem Boden gestanden hat, würde vermutlich nicht einmal entdeckt. Eggers, einer der großen Heroen der Archäologie, hat einmal geschrieben: "Nichts ist von größerer Dauerhaftigkeit als ein ordentliches Loch." Oder so ähnlich.


So, hier endet nun Teil Eins. Nun wisst ihr, was Sache ist. Und nun geht es an die Arbeit. Im nächsten Teil.

Chris  


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**ZIMMERMANN, W. H.: Pfosten, Ständer und Schwelle und der Übergang vom Pfosten- zum Ständerbau. Eine Studie zu Innovation und Beharrung im Hausbau. Probleme der Küstenforschung im südlichen Nordseegebiet 25, Oldenburg, 1998.