Sonntag, 24. November 2019

Von Bäumen und Menschen


Es ist Sonntag. Und an Sonntagen macht man keinen Krach. Jedenfalls nicht mit Motorsägen.

Zeit, mal darüber nachzudenken, was wir in den letzten Tagen eigentlich so gemacht haben.

So viele schöne Eichenstämme! Wie viele Bäume sind gefällt worden dafür. Und wir rücken ihnen nun mit lauten und aggressiven Geräten zu Leibe. Aufmerksamen Leserinnen und Lesern des gestrigen Posts - es schwang dort zwischen den Zeilen ja schon irgendwie mit - wird wohl nicht entgangen sein, daß wir uns sehr bewußt sind, daß wir es mit besonderem Material zu tun haben, das von Bäumen stammt, von denen die ältesten ein ganzes Jahrhundert erlebt haben.

Wenn wir die Schnittfläche der Stämme betrachten, können wir die Jahresringe sehen und sie zählen.
Die Jahresringe eines Baumes sind sein Tagebuch. Hier schreibt der Baum sein ganzes Leben auf.

Er hat ja keinen Mund und keine Stimmbänder und kann uns nicht mit Worten erzählen, wie es ihm ergangen ist.
Aber wir können in seinem Tagebuch lesen.

Der Fünfzigjährige erzählt uns darin vielleicht, wie lange er als junger Baum im Schatten eines Großen gestanden hat, der ihm das Licht nahm. Und von dem einen, ganz besonderen Tag, an dem alles anders werden sollte. Als ein Sturm oder ein Holzknecht den Alten gefällt hat, und als auf einmal die Sonne mit voller lebenspendender Macht zu ihm hinunter lachte. Wie er von diesem Tag an sein eigenes Leben so richtig beginnen, wie er endlich durchstarten konnte. Und wie er dann zu einem großen, mächtigen Baum heranwuchs.
Aber wir lesen vielleicht auch von den Rückschlägen und Sorgenzeiten, die dann kamen. Als starke Stürme ihn schoben. Ihm Äste abrissen. An seinen Ringen sehen wir aber, wie er mit der Zeit gelernt hat, sich den Stürmen entgegen zu stemmen, wie er sich an genau der Seite, in die ihn der Wind am häufigsten schieben wollte, verstärkte. An seinem Stamm entlang geblickt sehen wir Löcher, wo mal ein Ast war. Er hat ihn abgestoßen, als es ihm sehr schlecht ging, er nicht alles Holz mehr tragen konnte, weil es plötzlich sehr wenig Wasser gab, das seine Wurzeln noch erreichen konnten. Was war geschehen? Und wann? Das Tagebuch gibt vielleicht Aufschluß: war es im Herbst vor dreißig Jahren? Hat jemand in dieser Zeit vielleicht eine Pumpstation für Trinkwasser in der Nähe gebaut?
Der letzte Jahresring besteht aus Spätholz, er kam nicht mehr dazu, Frühholz zu bilden. Also kam sein Ende im Winter.
Warum mußte man ihn fällen? 50 Jahre sind doch noch nicht alt. Für eine Eiche.
Und müssten wir nicht ein schlechtes Gewissen haben? Weil wir an ihm nun sozusagen Leichenfledderei begehen?

Der 100-Jährige ist nicht viel dicker als der, von dem eben die Rede war. Er erzählt davon, wie er sein ganzes Leben lang darum kämpfen mußte, ans Licht zu kommen. Er stand leider so tief im Tal, daß es nicht einmal viel half, wenn in seiner Nachbarschaft endlich die alte Buche zu Boden ging, die ihn nie gemocht hatte.  Hat er es endlich geschafft, und fiel dann doch der Säge zum Opfer? War er nun zusammen mit seinen gleichaltrigen Gefährten an der Reihe, damit die Jungen ihre Chance haben würden? Wer weiß.

Klar fragen wir uns, ob es überhaupt sinnvoll ist, so kräftige, gesunde Bäume auf dem Höhepunkt ihres Lebens zu fällen.
Aber die Stämme, die wir bearbeiten, stammen ja nicht von Bäumen, die für uns gefällt worden sind. Sie wurden vor rund zwei Jahren zur Bestandsverjüngung gefällt, und ihre Stämme lagerten von da an geschält am Sägewerk, bis sie für unsere Arbeit erworben wurden. Das Schälen ist heutzutage wichtig. Denn wir haben durch die der Artenvielfalt dienende etwas verantwortungsbewußtere Waldwirtschaft der letzten drei Jahrzehnte und durch das milder werdende Klima wieder Käferarten, die fast ausgestorben waren oder neue Arten, die sich mit dem Holzhandel aus fernen Regionen eingebürgert haben. Darunter sind Käfer, deren Larven sogar das Kernholz von Eichen besiedeln.

Die Jugend muß ihre Chance haben. Daher ist es wichtig, daß älteres Holz irgendwann geerntet wird. Wenn man es richtig macht. Und wenn man dann daraus etwas Gutes macht. Der freiwerdende Lebensraum wird ja wieder von einem anderen Baum genutzt. Er freut sich, wie der Baum in unserem Beispiel weiter oben, über die Chance, die er plötzlich endlich bekommen hat. Über die Sonne, die er jetzt erst ganz für sich nutzen kann.

Nur kommt es darauf an, was wir aus dem Holz dann machen. Wir haben die Wahl. Wir können etwas Schönes, Wertvolles, sehr Langlebiges daraus machen. Oder wir können daraus Sondermüll machen.
Ein Gang durch manch ein Möbelhaus oder das Blättern in manchem Katalog für Fertighäuser reicht, um zu sehen, was zumeist aus Holz entsteht. Mit Leimen, Farben, Lacken, Konservierungsmitteln ist zu oft aus wertvollem Holz Sondermüll gemacht geworden. Hier ändert sich das Bewußtsein allmählich. Unserer Gesundheit und der Umwelt zuliebe. Denn mal ehrlich, man kann Holz nicht für immer konservieren. Irgendwann ist es Müll. Und am besten kann man es dann in einem schönen Ofen verbrennen. Oder man lässt es in der Natur verrotten. Das geht aber nur, wenn es unbehandelt ist. Und der Zeitpunkt, ab wann es Müll ist, hängt sehr davon ab, wie langlebig und werthaltig das ist, das aus dem Holz gebaut worden ist.

Ein Beispiel kann das sehr gut verdeutlichen.
Eine Fichte, die in einem sehr hoch gelegenen Tal im Karwendel an besonders ruhiger und gut geschützter Stelle gewachsen ist, wird zusammen mit hunderten anderen Fichten ihrer Umgebung, nachdem dort verjüngt werden mußte, zum günstigen Kubikmeterpreis verkauft. Hunderte Kubikmeter wechseln zum Tagespreis den Besitzer. Für die Papierherstellung, für die Spanplattenfabrik, oder zur Herstellung von Holzpellets, als Sackware.

Vor über 300 Jahren kaufte auch schon jemand Holz dort oben. Er war Handwerker. Ihm reichte aber nur etwas mehr als ein halbes Kilogramm Fichtenholz aus dem Karwendel, um eine Geige zu bauen. Natürlich baute er viele Geigen. Sein Name war Antonio Giacomo Stradivari. Diese Geigen sind zum Teil heute Millionen Dollar wert. 
Für was würden wir als Baum lieber unser Leben lassen? 

All das ist uns hinter unseren Ohrenstöpseln sehr bewußt. 

Um so mehr werden wir uns Mühe geben, aus diesen Eichenstämmen etwas zu bauen, das viele Menschen, viele Familien mit ihren Kindern, noch sehr sehr lange erfreuen kann. Und das gerne über Jahrzehnte, vielleicht so gar über hundert Jahre lang, gepflegt, in Stand gehalten, repariert und genutzt wird. An einem Ort, der Geschichte erfahrbar macht. Und an dem wir etwas lernen können. Auch über das Bauen mit Holz.

Kleiner Nachtrag.
Müssen wir denn unbedingt wertvolles Eichenholz für unsere vorgeschichtlichen Gebäudevisualisierungen nutzen? Woanders baut man sowas doch auch aus Fichtenstämmen, die ohnehin wegen des Borkenkäfers gefällt werden mussten. Die Antwort ist: Ja. Fichten hat es vor 2250 Jahren in unserer Region nicht gegeben. Wir bauen das ja, um einen Eindruck davon zu geben, wie Gebäude in der vorrömischen Eisenzeithaus ausgesehen haben könnten. Wir müssen zumindest versuchen, den Stand archäologischer Forschung einigermassen anschaulich wiederzugeben, sonst wäre unser Projekt ohne Bedeutung. Einfach irgendwelche Hütten aus irgendwelchem Holz ohne jedwede archäologische Grundlage zu bauen und Besucher glauben zu lassen, dass das hier ein mindestens  wahrscheinliches Abbild vorgeschichtliches Gebäude sei, ist nicht unser Ding. Wir wissen ohnehin nur wenig wirklich. Was wir aber wissen, sollten wir darstellen. Stellt euch vor, wir bauen ein Haus nach, von dem wir wirklich nicht genau wissen können, wie es tatsächlich im Original aussah und bauen das dann auch noch aus kerzengeraden Fichtenstämmen, von denen wir genau wissen, dass damit hier in der Gegend nicht gebaut wurde. Wozu sollten wir dann überhaupt etwas bauen? Dann wäre sogar das Fichtenholz verschwendet und wäre sinnvoller zu Dachlatten verarbeiten worden. Es sind genau zwei Dinge, die wir über diese Gebäude recht sicher aus archäologischen Grabungen erschließen können. Die einstigen Pfostenlöcher und damit die Dimension, Grundkonstruktion und der Typ des Gebäudes sowie das verwendete Bauholz, nämlich hauptsächlich Eiche. Für alles andere sind wir auf etwas kompliziertere multidisziplinäre Erkenntisprozesse angewiesen. Genau das kann anhand unserer Visualisierungen diskutiert werden. Und damit ist ein Hauptteil unsere Aufgabe erklärt. Wir machen Ideen sichtbar und damit breit diskutierbar. Punkt.




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