Mittwoch, 27. November 2019

Speicher oder was?





Unser neues Projekt nennen wir einfach "Speicher". Obwohl wir eigentlich gar keinen "klassischen" Speicher bauen. Aber wie kommmt das eigentlich?

Wir wollen euch ein bißchen auf dem Weg zu unserem neuen Gebäude mitnehmen. Da gehört natürlich auch der eigentümliche Gedankengang dazu, der letztlich zu dieser Wahl geführt hat.

Zu eigentlich jeder eisenzeitlichen Siedlung hier im Nordwesten gehörte neben dem großen Haupthaus, das als Wohnstallhaus zugleich Stallungen für das Vieh, aber auch den eigentlichen Wohnbereich mit Feuerstelle besaß, auch eine Anzahl kleinerer Nebengebäude, wie Schuppen, Werkstätten, kleinere Stallungen und einfache Unterstände.
Zu den vermutlich wichtigsten Nebengebäuden gehörten die sogenannten Speicher. Man stellt sich solche Speicher als auf erhöht liegenden Plattformen errichtete Bauten oder als Gebäude mit lediglich erhöhtem Lagerboden vor. Sie dienten vermutlich zur Unterbringung von Dingen, die auf keinen Fall feucht werden durften. Getreide zum Beispiel. Für unseren Raum typisch schienen lange Zeit nur "4- bzw. 6-Pfostenspeicher" zu sein. Man kennt aus den Grabungen aus der vorrömischen Eisenzeit inzwischen aber auch 9-Pfostenspeicher. Besonders ab dem 1. Jh. nach Chr. kommen Vielpfosten-Speicher auf, die zwischen 12 und 20 Pfosten haben konnten. Gemeinsam haben sie eine annähernd quadratische oder nur leicht rechteckige Grundfläche und sehr wenig Abstand zwischen den einzelnen Pfosten. Die Größe veränderte sich damit teils beträchtlich.

Die Skizze unten zeigt die typische Anordnung der Pfosten sogenannter eisenzeitlicher Speicher, wie sie immer wieder in Grabungen auftauchen. Es sind Vier-, Sechs- und Neunpfostenspeicher.




Am Eisenzeithaus haben wir vor ein paar Jahren einen solchen Speicher nachgebaut. Es ist ein Neunpfostenspeicher. Hier sieht man die Rückseite. Die Türe ist genau auf der anderen Schmalseite. Bei diesem Speicher haben wir das erste mal mit kantigen Pfosten und Balken gearbeitet. Das Dach ist "klassisch" mit Reet gedeckt, obgleich vermutlich Langstroh einfacher verfügbar gewesen ist. Reet ist heute allerdings leichter erhältlich.


By Basotxerri - Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=59335718


Am Eisenzeithaus gab es als weitere Nebengebäude einige Unterstände, die wir auch dringend für die Aktivitäten mit Gruppen brauchten, vor allem, wenn es mal regnete. Diese waren irgendwann marode und mußten abgebaut werden.
Den Plan, sie zu ersetzten, gab es also schon länger.

Dann wurde von der Stadt- und Kreisarchäologie nur einen Katzensprung vom Eisenzeithaus entfernt bei den archäologischen Voruntersuchungen einer künftigen Baufläche ein Gebäude aus der vorrömischen Eisenzeit entdeckt, das 15 Pfosten und eine besondere, deutlich langschmale Form gehabt hat.

Es gehört damit nach Hajo Zimmermann* zu den sogenannten "langgestreckten Speichern".

Diese besondere Gruppe der sogenannten "langgestreckten Speicher" weist viele Pfosten auf (12, 15, 18,), die aber in weit auseinanderliegenden Gruppen angeordnet sind, was eine lang gestreckte Grundfläche zur Folge hat. Laut Zimmermann ist die Ansprache dieser Gebäude als "Speicher" im Gegensatz zu den 4- bis 9- Pfostenspeichern und den fast quadratischen Vielpfosten-Speichern allerdings unsicher**. Funde dieser Art Gebäude gibt es seit der mittleren vorrömischen Eisenzeit.

Zu dieser Gruppe gehört der Befund vom Erlengrund in Ostercappeln-Venne. Funde von Keramik in den Gruben unter den ehemaligen Pfosten datieren ihn auf ca. 400 - 100 v. Chr.

Hier ist die bemaßte Befundzeichnung zu sehen.

© Stadt- und Kreisarchäologie Osnabrück

Im Vergleich mit den typischen Pfostenanordnungen, wie sie weiter oben zu sehen sind, sieht dieses Gebäude aus wie eine langgestreckte Version der typischen Speicher. Oder wie ein 9- und ein 6-Pfostenspeicher, die in Reihe gebaut wurden. Oder wie zwei Sechs-Pfosten-Speicher nebeneinander, die mit einer Art "Verladebrücke" verbunden waren. Vielleicht war es aber auch gar kein Speicher. Dieser Therorie werden wir nachgehen.


Spannend ist, daß die Orientierung des Gebäudes in nordwestlicher Richtung ziemlich genau 22,5° beträgt, was genau zwei nautische Strich oder NNO  bedeutet. Hatte die Orientierung mit der Himmelsrichtung und damit mit dem Sonnenlicht zu tun? Im Winter würde die Sonne von Aufgang bis zum Mittag eine Langseite komplett erwärmen können, während sich ihr in der hochsommerlichen Hitze ab Mittag nurmehr noch eine Schmalseite präsentiert. 


Deshalb haben wir natürlich zuerst an die "klassische" Rekonstruktion gedacht.
So wie hier hätte sie dann in etwa ausgesehen.




Doch in einem erhöhten Bau können wir leider kaum Aktivitäten mit Gruppen durchführen. Auch würde er in keiner Weise den Bedürfnissen von Menschen mit Handicap gerecht. 

Die Lösung war, den Pfostenbefund zur Grundlage zu nehmen, daraus aber ein Gebäude zu entwickeln, das einerseits unseren Bedürfnissen eines praktischen Nutzens, vor allem für die Museumspädagogik, gerecht werden würde, aber zugleich auch auf der anderen Seite eine alternative Interpretation eines archäologischen Befundes anbieten könnte, um zu Grundfragen archäologischen Rekonstruierens einen Diskussionsbeitrag zu leisten. 
Kurzum, wir entschieden uns, exakt auf der Basis der Pfosten ein an einer Langseite offenes, ebenerdiges Gebäude zu errichten. Der Bereich zwischen den einzelnen Pfosten mißt von dieser Langseite immerhin stolze zwei Meter. Wir bauen also einen Unterstand mit vier je 2 Meter breiten Fächern.
Als Beifang ergibt sich damit eine Nutzungsmöglichkeit, an die wir bislang noch gar nicht wirklich gedacht haben.

So ist die Zeit der vorrömischen Eisenzeit im Nordwesten Europas berühmt für die zahlreichen Funde von aufwändigen Wagen. Besonders schöne Exemplare fand man zum Beispiel im Moor bei Dejbjerg in Jütland, Dänemark. Aus dem benachbarten Westfalen sind aus dieser Zeit Wagengräber bekannt, also Gräber, in denen die bestatteten Personen jeweils zusammen mit einem Wagen beigesetzt wurden***. Man stelle sich eine solche Sitte heutzutage vor!

Auch auf der Schnippenburg sind Funde von Wagenteilen gemacht worden, wie z. B. ein besonders typischer verzierter Achsnagel.

Hier die Rekonstrution eines solchen Wagens, hier aus Dejbjerg. Wie würdet ihr so etwas unterbringen?


Bild: Ringkøbing-Skjern Museum


Neben diesen prachtvollen und wohl für zeremonielle Anlässe benutzten, von Pferden gezogenen Wagen waren einfache bäuerliche Wagen verschiedener Einsatzzwecke vermutlich bei jedem Hof während der Eisenzeit in Gebrauch. Man fuhr mit ihnen die Ernte ein, transportierte Holz aus dem Wald, u.v.m.. Der auf dem Land noch bis vor wenigen Jahrzehnten typische bäuerliche Leiterwagen wäre wahrscheinlich jedem eisenzeitlichen Bauer und jeder Bäuerin sofort vertraut gewesen, wenn sie eine Zeitreise hätten unternehmen können. Die eisenzeitlichen Bauernwagen konnten vollständig aus Holz, ohne Verwendung von Metall gebaut werden. Nur selten gibt es daher erhaltene Funde; alle stammen aus Mooren und sind beim Torfstechen entdeckt worden.

Hier ein solches einfaches Exemplar:


Bild: Jørgen Kraglund, Skalk.



Wo aber stellte man die Wagen unter? Die Öffnungsweite der Türen eines typischen Wohnstallhauses war für die Einfahrt dieser Gefährte viel zu schmal. Und in erhöhte Speicher hiefte man sie sicher auch nicht. Einfach draußen im Regen ließ man sie sicher nicht stehen. Und ärmliche Abdächer, die bei Sturm allzu leicht in sich zusammen fielen, scheiden sicher als Unterbringungsmöglichkeit für diese ebenso wertvollen wie nützlichen Fahrzeuge aus. Wir könnten jetzt ganz zufällig eine Lösung für dieses Problem gefunden haben. Waren die sogenannten "laggestreckten Speicher" vielleicht Gebäude mit einer anderen Funktion? Waren sie Wagenschupen? Oder beides, Wagenschuppen mit Speicherboden?



Der Befund vom Erlengrund als Wagenschuppen? Bauen wir jetzt auch einen Wagen? Wieso eigentlich nicht?

Mal sehen... erstmal muß der Schuppen fertig werden. 

Kurzum: wenn es auch kein "Speicher" im Sinne der klassischen Rekonstruktionen wird, der Pfostenbefund vom Erlengrund wird durch dieses Gebäude anschaulich wiedergegeben und dadurch erlebbar und diskutierbar. Auch die Orientierung des Gebäudes exakt zwei nautische Strich Ost wird rekonstruiert und damit die Voraussetzung geschaffen, die Möglichkeit einer Bedeutung von Sonnenständen als Grundlage für die Ausrichtung von vorgeschichtlichen Gebäuden zu prüfen. 

Darüber hinaus wird dieser Bau aber vor allem spielerisch mit der Frage umgehen, ob viele Pfosten auf kleinem Raum grundsätzlich eine erhöhte Plattform bedeuten, oder ob sich andere Funktionen für ein solches "pfostenreiches Gebäude" als z. B. die eines Speichers finden lassen. In der Praxis wird sich zeigen, ob sich der Bau als nützlich für bestimmte Bereiche eisenzeitlichen Wirtschaftens erweisen kann, oder ob er gänzlich unpraktisch wäre. Eines aber ist sicher. Er hat ein Dach, unter das man sich bei Regen unterstellen und unter dem man sogar in kleinen Gruppen werken kann.



________
* Zimmermann, W. H., 1992: Die Siedlungen des 1. bis 6. Jahrhunderts nach Christus von Flögeln-Eekhölten, Niedersachsen. Die Bauformen und ihre Funktionen. Probleme der Küstenforschung im südlichen Nordseegebiet 19, Oldenburg. Abb. 185, 186, 187 u. 191.
** ebenda S. 241
*** Reepen, Birte, 2011: Archäologische Untersuchungen zu eisenzeitlichen Wagengräbern im nordwestdeutschen Raum, Abschlussarbeit zur Erlangung eines 2-Fach Bachelors der Philosophischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster (Westf.).

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