Erinnert ihr Euch? Gestern haben wir Euch versprochen, daß wir Euch heute die exakte Nachbildung eines rund 2200 Jahre alten "Tüllenbeitels", der bei den Ausgrabungen auf der Schnippenburg gefunden wurde, im Einsatz zeigen. Wir wollten heute sehen, was das Teil so kann. Außerdem gab es für diese Art Holzbearbeitungswerkzeug, von dem es in der vorrömischen Eisenzeit eine überraschende Bandbreite gab, heute jede Menge zu tun. Denn heute mußten die fünf kurzen Pfosten der späteren Gebäuderückseite mit ihrer Pfette verbunden werden.
Apropos verbinden: Dieses Wort hat vermutlich genauso wie das Wort Abbinden oder Abbund seinen Ursprung darin, daß, bevor es spezialisierte Eisenwerkzeuge gab, mit denen man technisch aufwändigere Holzverbindungen herstellen konnte, Holzverbindungen im wahrsten Sinne "Verbindungen", also echte Bindungen waren. Einige archäologische Freilichtmuseen, die Gebäude der Eisenzeit zeigen, banden die Holzteile dieser Häuser zusammen. Klar, die Bindungen sind meist nur angedeutet, denn kein Statiker würde so einen Bau heutzutage durchgehen lassen. Wenn wir uns vorstellen, welche Menge Seil oder Hautstreifen oder sonstwas man bräuchte, um das einigermaßen haltbar hinzubekommen, daß das Gebäude nicht nach wenigen Tagen in sich zusammenfällt, dann noch bedenken, welche Zugfestigkeiten diese Stricke bräuchten, dann noch den technologischen Stand der mittleren vorrömischen Eisenzeit anhand von Funden von Holzbearbeitungswerkzeugen wie unseres Tüllenbeitels von der Schnippenburg in die Waagschale werfen, dann erscheint uns das Wahrsage-Pendel der Frage, welche Verbindung man vermutlich anfertigte, deutlich zu Gunsten von Zapfen, Holznagel und Verblattung auszuschlagen.
Hier ist er nun, unser eisenzeitlicher "Tüllenbeitel". Wir nennen ihn ab nun Stemmeisen, denn dafür werden wir das Teil nun gebrauchen. Für die Schmiedefans unter Euch: es ist aus einem Stück sehr mildem "Baustahl" geschmiedet, mit dem am Funktionsende aufgekohlter härtbarer Stahl feuerverschweißt wurde. Nach dem Grobschliff ist das Ding normalisiert, gehärtet und angelassen worden. Dann folgte der Schliff auf Naturstein, zuletzt auf Wassersteinen.
Doch bevor der Pfosten überhaupt bearbeitet werden kann, muß zuerst die Form der Pfette genau da, wo der Pfosten möglichst gut sitzen soll, angezeichnet werden. Liebe Kinder, gebt gut Acht, ob ihr es glaubt oder nicht, dafür reicht sogar Euer Zirkel. Guckt doch mal, ihr habt bestimmt genau so einen!
Zuerst misst Torben hier die Abstände, denn das Zapfenloch in der Pfette (auf der seine linke Hand ruht) ist genau 10 cm lang. So lang muß auch der Zapfen des Pfostens werden. Weil aber der Pfosten ja nicht so wie auf dem Bild hier an der Pfette sitzen, sondern schön lückenlos passen soll, müssen wir den Bereich, den die Pfette nachher ausfüllen soll, aus dem Pfosten herausarbeiten. Da hilft nix, das geht nicht mit der Maschine, so etwas ist traditionelles Zimmereihandwerk. Aber schauen wir Torben erst mal beim Messen zu. Vielleicht erkennt ihr ja, wie das funktioniert.
Na? Ist Euch der mit dem Bleistiftende des Zirkels gemalte Auschnitt eines Kreisbogens aufgefallen? Guckt mal genau hin! Wenn Torben den Zirkel genau waagerecht führt und dabei mit dem im Bild linken Teil des Zirkels an der Pfette "herunterfährt", dabei nun gleichzeitig mit dem Bleistiftende des Zirkels in Kontakt mit dem Pfosten bleibt, dann zeichnet sich genau die Rundung der Pfette am Pfosten ab. Toll, oder? Was man alles mit einem schnöden Zirkel machen kann! Der Zirkel ist 10 cm auseinadergeklappt, das ist die Länge, die der Zapfen haben soll. Klappt man den Zirkel 15 cm weit auseinander, wird der Zapfen halt 15 cm lang.
Hier nochmal. Nur auf der anderen Seite. Anhalten, schön waagerecht...
... und herunterfahren...
Toll, oder?
Doch nun kommt der Augenblick, wo Christian ran muß. Und das Stemmeisen von der Schnippenburg.
Denn nun muß dieser Zapfen aus dem vollen Holz des Pfostens herausgearbeitet werden. Man kann vorher die Umrisse damit anzeichnen, aber schneller geht es, wenn die Motorsäge bereits die geraden Einschnitte sowie die Flanken etwas weggenommen hat. Es ist trotzdem noch eine mühselige Arbeit.
Hier klopft Christian mit einem Holzhammer. So wird es auch in der Eisenzeit gewesen sein.
Das ging sogar sehr gut, weil dieses Eisen sehr dick ist, aber schmal. Es dringt tief ein, hebelt kräftig weg. Das moderne Ding mit der gleichen Breite, aber dünner, hämmert sich dagegen wie ein Nagel ins Holz und ist nur noch mit Wut zu bewegen. Manchmal kriegt man es kaum wieder raus. Doch das eisenzeitliche Ding geht perfekt für diese wuchtige Arbeit.
Doch wir müssen wirklich viele solche Zapfen machen, und dafür ist das eisenzeitliche Stück wirklich zu kostbar. Weiter geht es mit dem modernen Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Enkel dieses Werkzeuges. Und mit einem Plastikhammer. Weil es verschiedene Größen braucht, um jede Form, jede Breite bearbeiten zu können, ist so ein Stemmeisen nie allein. Es hat immer ein paar Geschwister in anderen Breiten. So war es sicher auch in der Eisenzeit. Wenn man also einen "Tüllenbeitel" findet, kann man sich fast sicher sein, daß er Teil eines Sets eines spezialisierten Handwerkers war, der solche Arbeiten damit machen mußte.
Da wir nun wirklich bei den echten Zimmereiarbeiten sind, würde Christian so eine Arbeit allerdings nie ohne die "magische Hose" angehen. Zum Glück ist sie nun da, nagelneu (denn seine alte ist vollständig auseinandergefallen an Stellen, deren genaue geografische Koordinaten der allgemeinen Öffentlichkeit vorenthalten bleiben werden).
Zum Vergleich das Schnittbild des breiten Stemmeisens.
Die Form ist hier ganz anders als bei dem anderen Pfosten, weil die Stelle, an die dieser Pfosten soll, vollkommen anders geformt ist. So wird das nun noch 13 mal weiter gehen, denn das Gebäude hat ja nunmal 15 Pfosten. Und jedesmal anders und dennoch exakt.
"Anprobe!" Der Zapfen sitzt im Loch und der Pfosten passt wie der Ring am Anfang einer Ehe. Wie bei jeder Ehe aber wird sich das leider mit den Jahren ändern. Allerdings wird der Pfosten und alles drumherum durch Trocknung etwas "einlaufen", statt durch die gesetzte Esserei wie ein Finger dicker zu werden.
Unten drunter.... auch ok.
Dann die andere Seite... Und? Was sagt ihr?
Gut, nicht? Das wird ja die spätere Innenwand des Gebäudes, da soll es doch auch gut aussehen, oder?
Dann der Eckpfosten, wir werden immer besser..
Wir fragen uns jetzt, ob die Leute sich damals genauso viel Mühe mit diesen Verbindungen gegeben hätten. Wir geben uns selber die Antwort: warum eigentlich nicht? Wenn es doch mit einfachen Mitteln möglich ist..
Toller Tag heute. Wir freuen uns bereits auf morgen, wenn es genauso weitergeht, wie heute. Ob wir uns bei Pfosten 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14 noch genauso freuen, ist noch fraglich. Eins ist aber jetzt schon klar: auf Pfosten 15 werden wir uns ganz sicher freuen! Bis dahin wird Christian einen mega muskulösen rechten Arm haben. Er überlegt, ob er sich das Linkshämmern antrainieren soll, damit er beim Gehen keine Schlagseite hat.
Leider passierte am Ende des Tages noch ein trauriges Mißgeschick. Wenn man an so schwerem Holz arbeitet, das man immer wieder hantieren muß, sind zerbrechliche Gegenstände in großer Gefahr. Und so hat es heute Christians Brille erwischt. Nun muß er morgen blind weiter stemmen.
Mal sehen, was dabei dann so rauskommt.